Am Ende sind wir alle Geschichte
Die Studentinnen Elsa, Fanny und Marie verbringen ihre Sommer an der französischen Atlantikküste. Hinzu kommt Lenica, die in dem kleinen Küstendorf wohnt. Dieses Jahr bringt sie Sean mit - und setzt damit Ereignisse in Gang, die das Leben aller in der Gruppe beeinflussen werden. Als alle sich zwanzig Jahre später wiedertreffen, wird klar, dass dieser eine Sommer Weichen für die Zukunft gestellt hat, und dass er sie noch immer beschäftigt.
„Vieles ist wahr und vieles erfunden“
Diesen Satz gebraucht Julia Holbe in der Einführung zu ihrem Debütroman. Was wahr und was erfunden ist, kann der Leser nur erahnen. Es ist aber für die Lektüre auch nicht essentiell wichtig, denn der Ort des Geschehens ist austauschbar und die Charaktere sprechen für sich, unerheblich ob nun fiktiv oder real. Dass die Autorin sie allerdings als „Heldinnen“ ihres Lebens bezeichnet ist niederschmetternd, denn alle haben ihren Lebenstraum in irgendeiner Weise verfehlt. Wenn das Heldinnen sind, was sind dann, überspitzt gesagt, Versager? Auch von einer „unzerstörbaren Freundschaft“ zu sprechen ist völlig absurd, denn diese Freundschaft hat die erste Zerreißprobe nicht überstanden und wird erst nach zwanzig Jahren wieder aktuell. Der Anspruch der Autorin ans eigene Buch ist nicht erfüllt!
Eine Studentenclique zerbricht
Elsa, Fanny und Marie kennen sich schon seit ihrer Kindheit in Luxemburg. Jetzt sind sie Studentinnen in Paris und verbringen ihre Sommer in Elsas Ferienhaus an der französischen Atlantikküste. Hier stößt Lenica zu den Freundinnen und gehört fortan mit dazu. Holbe gelingt es vorzüglich, diese jungen Frauen zu porträtieren. Sie sind sehr unterschiedlich und doch alle hungrig auf das Leben und die Zukunft: Die eine ist extrovertiert und gibt nicht viel auf Normen, die andere will eine angesehene Anwältin werden und die nächste träumt vom Leben mit ihrer großen Liebe. Die Lust am Leben, die Versprechen auf das, was noch kommt, das alles ist spürbar, genauso wie die am Meer verbrachten Tage mit zu viel Sonne, das Grillen am Abend und die unzähligen Flaschen Rotwein, die zu einem geglückten Sommer dazuzugehören scheinen.
Auch die um zwanzig Jahre gealterten Frauen sind greifbar. Alle haben Enttäuschungen hinnehmen müssen, die sie gezeichnet haben. Die Zukunft sah für jede anders aus, als sie gedacht hatte. Diese Veränderungen und Niederlagen im Leben jeder Einzelnen hat die Autorin sehr gut vermittelt - aber auch, dass die Frauen im Kern immer noch die alten sind; nur die Haare sind grauer und die Falten tiefer. Jedoch ist völlig unklar, warum eine so lange und gefestigte Freundschaft aufgrund eines Sommers auseinanderbricht und dieser Bruch ganze Jahrzehnte andauert. Selbst nach Auflösung der Vorkommnisse rund um Sean bleibt der krasse Absturz in die Trennung ein Rätsel. Wenn auch erst einmal die Enttäuschung überwiegt, kann ein klärendes Gespräch doch so manches kitten. Dieser unwahrscheinliche und endgültige Einschnitt ist der Dramaturgie geschuldet und muss als Voraussetzung für den Roman jedoch wohl hingenommen werden.
So geht es auch mit der scheinbar grenzenlosen Abhängigkeit Elsas von Sean, die vielleicht bei einer frisch verliebten jungen Frau noch zu erklären wäre, aber bei einer gereiften und lebenserfahrenen – ja, was? - Mittvierzigerin oder Enddreißigerin? Das Alter der Protagonistinnen ist nur schwer festzustellen, denn es wird natürlich nur angedeutet. Jedenfalls scheint die Zeitrechnung im Roman eine andere zu sein, hat die gegenwärtige Elsa doch zwei erwachsene Kinder, die beide schon studieren, und das immerhin innerhalb von zwanzig Jahren! Auch hier scheint manches so gebogen worden zu sein, dass es passt.
Die Vergangenheit muss aufgearbeitet werden
Julia Holbe hat zwanzig Jahre als Lektorin gearbeitet, und das merkt man ihrem Roman an. In gut gesetzten Sätzen und mit einer anspruchsvollen Sprache, aber gleichzeitig flüssigem Schreibstil erzählt sie die Geschichte der Freundinnen. Dabei bedient sie sich Elsas als Ich-Erzählerin, die zwischen heute und damals wechselt und die Geschehnisse des Sommers in Rückblenden und Erinnerungen wiedergibt. Leider ist zu Beginn der Geschichte das Ende des Sommers schon vorhersehbar, erfährt der Leser doch gleich, dass Elsas große Liebe zur Enttäuschung wird und die Freundschaft der Frauen zerbricht. Lediglich das Warum ist bis zum Schluss ein Rätsel und wird erst nach der endgültigen Aufarbeitung der Vergangenheit geklärt. Genauso wie die Charaktere schafft es die Autorin hierbei gut, die herrschende Atmosphäre damals und heute zu beschreiben. Das Geräusch der Zikaden ist zu hören wie der Regen in Irland oder das Klappern der Kaffeetassen in Luxemburg. Leider verliert sich die Autorin teilweise in ihren sehr ausführlichen Beschreibungen und nimmt damit die Spannung und den Schwung aus vielen Passagen der Geschichte. Nur der sehr gute Stil rettet über die Langatmigkeit hinweg. Doch der kann das vollkommen verkitschte Ende auch nicht ganz ausbügeln. Hier wollte die Autorin einfach zu viel und ist damit in die Mittelmäßigkeit abgestürzt. Das beeinflusst die Wahrnehmung des ganzen Romans und hinterlässt einen faden Nachgeschmack.
Fazit
Unsere glücklichen Tage ist eine gut geschriebene, aber manchmal etwas langatmige und - sehr bedauerlich - streckenweise unnötig kitschige Geschichte, die den Anspruch der Autorin, „Heldinnen des Lebens“ und „unzerstörbare Freundschaft“ zu schildern nicht erreicht. Dennoch schafft es Julia Holbe, den Leser bei der Stange zu halten, denn Atmosphäre und Personen sind gut geschildert und die Tragik des Sommers offenbart sich endgültig erst am Ende. Der Roman zeigt anschaulich, dass die Zukunft nicht planbar ist und Enttäuschungen und Verletzungen ein ganzes Leben beeinflussen können.
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