Wenn das Erbe zur Gewissensfrage wird
Ellen Sandberg ist das Pseudonym der Münchener Autorin Inge Löhnig. Auch mit ihrem neusten Roman Das Erbe hat sie es wieder auf die Spiegel Bestseller-Liste geschafft: Mona erbt völlig überraschend ein großes Jugendstilhaus in München. Ihre entfernte Verwandte Klara hat es ihr mit der Bemerkung „Mona wird das Richtige tun“ vermacht. Was damit gemeint ist, findet Mona nach und nach heraus. Sie stellt nämlich fest, dass das Haus ein Geheimnis birgt. Dadurch steht sie vor der schwerwiegenden Entscheidung, es zu behalten und reich zu sein oder ihrem Gewissen zu folgen und wieder als Bauzeichnerin zu arbeiten.
Zwei Zeitebenen erzählen eine Geschichte
Klara ist in dem „Schwanenhaus“ aufgewachsen. Ihre beste Freundin ist Mirjam, die Tochter des jüdischen Hauseigentümers. Als die Nazis die Rechte der Juden immer mehr einschränken, beschließt Klaras Vater, das Haus von seinem Vermieter Jakob Roth zu kaufen, damit dieser mit Frau und Tochter auswandern kann. Diese Zeitebene wird bis in die Nachkriegszeit in Rückblicken und wiedergegebenen Briefen vermittelt und immer wieder in die Gegenwart von 2018 eingeflochten. Diese Gegenwart wiederum erzählt die Geschichte von Mona und Sabine, die mit dem Haus verbunden sind. Beide Zeitebenen scheinen gut recherchiert zu sein, wobei sich manchmal doch unrealistische Details einschleichen: So fragt man sich z.B., wie es möglich gewesen sein soll, im Krieg Briefe aus England zu erhalten bzw. dorthin zu schicken. Dennoch, die Geschichte gibt die Gefahren und Repressalien der damaligen Zeit genauso gut wieder wie die Probleme mit der Restitution in der heutigen. Aber statt sich mit dieser Handlung zufrieden zu geben, hat die Autorin den Roman mit zu vielen Nebensträngen überfrachtet: Unerfüllte Liebe, Betrug und Vergewaltigung sind nur einige dieser völlig unnötigen Füllthemen, die die an sich schlüssige Geschichte nicht nötig gehabt hätte. Doch zu diesem holprig aufgeplusterten Plot passt das sehr idealisierte und wenig realistische Ende. Man hat fast den Eindruck, am Schluss soll niemand enttäuscht werden, und so wird die Welt rosarot eingefärbt.
Es lebe das Klischee!
Bei den Charakteren hat Sandberg tief in die Klischee-Kiste gegriffen: Mona ist das wandelnde naive Gewissen, Sabine die bildungsferne Geldgierige und Klara scheint kein Rückgrat zu haben. Diese Stereotypen werden in allen Nuancen durchgespielt, haben aber immer nur ein Verhaltensmuster. Mona sagt sich gefühlte 1.000 Mal, dass sie es sich leisten kann, Geld auszugeben; gleichzeitig kneift das schlechte Gewissen die Gute trotzdem bei jedem Euro. Sabine bezeichnet sich selbst als Hartzerin, liebt Kleidung mit Glitzersteinchen genauso wie „Cappu“ und Zigaretten, und Großherzigkeit ist für sie ein Fremdwort. Klara dagegen weiß, dass der Hauskauf nicht ganz koscher war, und trotzdem stellt sie sich nicht der Verantwortung, sondern schiebt sie ständig vor sich her bzw. auf andere ab. Diese Figuren sind einfach zu eindimensional! Die Krone aber setzt die Autorin Monas Schwester Heike auf, die so plump geschildert ist, dass ihr grotesker Schlussauftritt fast schon humoristische Züge hat. Der Mangel an echten Charakteren, wie man sie sich im wirklichen Leben vorstellen kann, nimmt dem Geschehen viel an Glaubwürdigkeit und dem sehr interessanten Thema die Brisanz. Denn die Frage, ob man seinem moralischen Kompass folgen soll, obwohl man rechtlich dazu nicht verpflichtet ist - vor allem dann, wenn dieser Entschluss extrem weitreichende Folgen für das eigene Leben hätte - ist doch essentiell wichtig.
Ein großes Thema trivial umgesetzt
Dem Leser ist schnell klar, dass der Hauskauf im Zusammenhang mit der Bedrohung der Familie Roth durch die Nazis zu sehen ist. Ebenso offensichtlich ist, dass sich Klaras Vater das Haus eigentlich nicht leisten konnte. Daraus spinnt die Autorin eine Geschichte, die zwar ziemlich offen da liegt ist, aber dennoch einige Wendungen aufweist, die der Leser nicht vorhersehen kann und die bis zum Schluss die Frage offen lässt, wie sich Mona wohl entscheiden wird. Dabei spielt das Haus die zentrale Rolle, die das Leben aller Beteiligten beeinflusst. Das Thema der Restitution oder der moralischen Verpflichtung und Wiedergutmachung an sich ist ein dicker Brocken, der für die Belletristik zu dick sein könnte. Doch Sandberg scheint nicht den Anspruch zu haben, allzu intellektuell damit umzugehen. Ihr Roman ist unterhaltsam, aber nicht anspruchsvoll. In lesefreundlichem Schreibstil und unkomplizierten Dialogen lässt die Autorin den Leser eintauchen in eine ansprechende Geschichte, die durch Klara und Mirjam sehr persönliche Züge erhält und durch Mona einen moralischen Touch.
Fazit
Das Erbe ist leichte Belletristik ohne großen Anspruch, aber mit einem relevanten Thema. Wer sich dem Problem der Restitution und Wiedergutmachung auf unterhaltsame, wenn auch nicht immer ganz realistische Weise nähern will, liegt mit diesem Roman genau richtig.
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