London, ein Ort der unerfüllten Träume
Iris hat einen großen Traum: Sie will Malerin werden und ihre Werke ausstellen. Doch sie fristet ein ärmliches Dasein, bemalt gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Puppen für einen Hungerlohn. Als ein Maler auf sie aufmerksam wird, ist ihr Traum in greifbarer Nähe – wäre da nicht ein anderer Mann, der mehr in ihr sieht…
Die Chance auf ein besseres Leben
Kann Iris überhaupt auf eine bessere Zukunft hoffen? Aufgrund eines Bruchs im Säuglingsalter wuchs ihr Schlüsselbein schief zusammen – wer könnte sie da noch lieben und wertschätzen? Ihre Schwester Rose indes war eine natürliche Schönheit, bis ihr die Pocken Krater ins Gesicht zeichneten. Seitdem ist sie verbittert vom Leben und Iris hat zunehmend das Gefühl, von ihr unterdrückt und aufgehalten zu werden.
Als der Maler Louis Frost sie entdeckt, ist er hin und weg. Er will sie als Modell für ein Kunstwerk. Ihre Bedingung: in der Malerei unterrichtet zu werden. Er willigt ein, gibt ihr sogar einen geringen Lohn, von dem sie sich eine eigene kleine Wohnung leisten kann. Mit der Zeit freunden sich die tatsächlich an, ja, verlieben sich gar ineinander: Eigentlich die perfekten Voraussetzungen für eine traumhafte Zukunft.
„Aufräumen, wie öde das klingt! Wenn alles dort ist, wo es hingehört, ergibt sich ein Eindruck von Mittelmäßigkeit, finden Sie nicht auch?“
Doch da wäre noch Silas. Er stopft Tiere aus, präpariert Kadaver und Skelette. Auch er wird auf Iris aufmerksam, bekommt sie nicht mehr aus dem Kopf. Was anfänglich einfache Bewunderung ist und der Wunsch nach einer Freundin, entwickelt sich zur Obsession. Mit der Zeit wächst in seinem Kopf eine finstere Idee heran, wie er Iris in seine Welt holen kann.
Keine Weltliteratur, aber von einnehmendem Charakter
Es ist das Jahr 1850 in London: eine Zeit der aufstrebenden Industrialisierung, in der Träume von einem besseren Leben kaum Chancen haben. Elizabeth Macneal schafft eine romantischere Version dieser Ära, die weniger den Schmutz und die Hoffnungslosigkeit transportiert, sondern Möglichkeiten, aus seinem Elend zu entfliehen. Da wäre Albie, ein Straßenjunge, der Geld für ein neues Gebiss anspart; Iris, die mit ihrer Schwester ein eigenes Geschäft aufbauen will; und Silas, der mit seiner Arbeit Weltruhm erlangen möchte.
Diese drei Protagonisten sind die Basis der Geschichte und sind miteinander verknüpft. Iris steht zwar im Zentrum, ist bei weitem aber nicht der interessanteste Charakter. Vielmehr vermag Silas auf morbide Art und Weise zu faszinieren: Er erinnert ein Stück weit an Grenouille von Das Parfum, gefangen in seiner Besessenheit, Opfer einer verständnislosen Gesellschaft und vergessen von der Welt. Man will ihn gleichzeitig bedauern und sich an seinem zwanghaften Verhalten weiden, bis es schließlich aus ihm herausbricht.
Elizabeth Macneals The Doll Factory ist ein interessanter Debütroman, der zwar nicht zu hundert Prozent stimmig ist, aber ein vielversprechender Anfang für eine hoffentlich große Schriftstellerkarriere.
Fazit
The Doll Factory spielt in einer romantischeren Version des Londons im 19. Jahrhundert, was perfekt für diese Geschichte passt. Die Schicksale dreier Protagonisten sind wie dazu geschaffen, erzählt zu werden. Obwohl ein wenig mehr Substanz fehlt, war es ein echtes Lesevergnügen.
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