Wenn Walter Charlotte getötet hat, dann habe auch ich sie getötet...
Paul ist in den Dreißigerjahren aus Deutschland ausgewandert und lebt nun seit vielen Jahrzehnten in England. Er erhält von seiner Freundin Irmi die Nachricht, dass sein damaliger Kommilitone Walter gestorben ist. Dieser gehörte zusammen mit einigen anderen Freunden zunächst zur Clique, die am Bauhaus studierte und gegen alle Konformitäten verstieß.
„Unser erstes Jahr am Bauhaus – was für ein schillerndes Jahr!“ So beginnt der Ich-Erzähler Paul die eigentliche Geschichte, die er nach dem Tod Walters und seiner Weigerung, dessen Beerdigung zu besuchen, erzählt - im Jahr 1922, in dem sich sechs junge Menschen am Bauhaus in Weimar treffen und nicht nur ihre Leidenschaft für Kunst, sondern auch ihre Freizeit zusammen teilen. Zunächst genießt die Clique dies in vollen Zügen, vor allem ihre neu gewonnene Freiheit fernab vom spießigen Elternhaus. Sie vertreten revolutionäre Kunstideen, probieren sich aus, lieben und leiden. Für Paul ist von Anfang klar: Er will Charlotte – ohne Wenn und Aber. Doch der Weg für beide ist steinig. Und als die Nazis das Bauhaus mehr und mehr ins Visier nehmen, bricht für alle eine schwierige Zeit an…
Pauls Schweigen findet endlich ein Ende
Die Geschichte wird aus der Rückschau erzählt und von Beginn an ist klar, dass Paul Charlotte noch immer liebt, sie nie vergessen hat und dass er Walter - den Unberechenbaren, den Egoisten, den Verräter - hasst. Es ist auch schon klar, dass Charlotte nicht mehr lebt und Paul Walter die Schuld dafür gibt, sie nicht aus dem Lager gerettet zu haben. Doch auch Paul weiß, dass er die Geschichte rund um ihre Bauhaus-Clique, seine Liebe zu Charlotte und die Umstände ihres Todes nur subjektiv erzählen kann und diese von „Kummer gefärbt“ ist. Nun soll sein Schweigen ein Ende haben und er macht deutlich, dass auch er sich schuldig an ihrem Schicksal fühlt. Warum dies so ist, fasst er nach all den Jahren des Schweigens nun in Worte.
Ein Porträt der Zwanzigerjahre rund um sechs Freunde der Bauhaus-Clique
Dieser Roman, der in den goldenen Zwanzigeren spielt, befasst sich mit dem Leben moderner, fortschrittlich denkender, junger Menschen, die zu einer Clique zusammenwachsen, aber nach einiger Zeit in einen Strudel aus Intrigen, Verrat, Geheimnissen und Neid geraten und diesen aus eigener Kraft nicht mehr verlassen können. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Dämon zu bezwingen, seine eigenen Probleme zu wälzen. Das Bauhaus wurde zunächst in Weimar eröffnet, dort wieder geschlossen und bis zur endgültigen Schließung durch die Nationalsozialisten in Dessau wieder ins Leben gerufen; die Ausbreitung des Nationalsozialismus spielt demnach eine nicht geringe Rolle und beeinflusst die Ausbildung und das Leben der Studenten und auch deren Lehrer. Figuren wie Johannes Itten, Paul Klee oder Wassily Kandinsky entsprechen den damals einflussreichen Künstlern; leider wird der Gründer der Kunstschule, Walter Gropius, gar nicht erwähnt, der ja doch einen entscheidenden Einfluss auf das ganze Geschehen ausübte. Auch wird auf die wirkliche Wichtigkeit der Bauhaus-Ideen, so beispielsweise auf die Begründung des noch heute im Schulunterricht gelehrten Farbkreises, kein großes Augenmerk gelegt. An manchen Stellen werden die Lehren deutlich, ziehen sich aber nicht durch die gesamte Geschichte.
Auch im Bücherregal macht sich der Roman gut, denn er ist in den Farben des Bauhauses gehalten: nämlich Gelb, Rot und Blau. Diese sind nicht willkürlich angeordnet, sondern folgen dem Grundgedanken „Weniger ist mehr“ und entsprechen Formen ohne Schnörkeln. So entsteht eine gelungene Verbindung zwischen dem Äußeren des Romans und dem Inhalt.
Fazit
Als historischen Roman kann man Diese goldenen Jahre nicht betiteln; wer ihn unter diesem Aspekt liest, wird enttäuscht sein. Es gibt vereinzelt historische Fakten, die aber durch die erfundene Liebesgeschichte rund um Geheimnisse, den Rausch der Freiheit und Verrat überdeckt und teils verzerrt werden. Wer auf die wahre Geschichte des Bauhauses nicht so viel Wert legt und sich auf die Erlebnisse der sechs Freunde einlässt, wird die Lektüre mögen. Aber, wie die Autorin am Ende bemerkt, lag ihr Hauptaugenmerk auch darauf, den Zauber der Zwanzigerjahre am Beispiel junger Leute im Bauhaus zu erzählen. Die Kunstschule diente ihr nur als Inspiration der eigentlichen Geschichte.
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