Tradition und Moderne vereint in einer jungen Ehe in Nigeria – ist das machbar?
„Ich will keine Polygamie“ - das stellt Yejide, die in einer Provinzstadt Nigerias lebt, sofort klar, als sie Akin, ihren zukünftigen Ehemann, kennenlernt. Sie selbst ist in einer Familie mit patriarchalischen Strukturen und vier Müttern aufgewachsen; genau das kann sie sich in ihrer eigenen Beziehung so gar nicht vorstellen. Doch da gibt es ein Problem: Trotz zahlreicher Untersuchungen und vieler vergeblicher Versuche gelingt es der jungen Frau auch nach zwei Jahren Ehe nicht, schwanger zu werden. Akins und ihre Familie wollen dies nicht mehr akzeptieren und setzen den beiden eine zweite Frau vor, Funmi. Sie soll Akins Kinder gebären und zugleich hofft man darauf, dass auch Yejide an deren Vorbild lernen und doch noch schwanger werden wird. Die Vereinbarung ist eine große Geduldsprobe für ihre Ehe und treibt einen Keil zwischen die beiden, eigentlich modern lebenden, eigenständigen Eheleute; was als Lösung eines Problems angedacht war, führt Yejide an den Rand dessen, was sie ertragen kann. Der einzige Weg, die junge Ehe zu retten, führt wirklich nur dahin, dass Yejide schwanger werden muss. Doch die Frage ist: Zu welchem Preis? Wie viel Leid, wie viel Verlust und wie viel Verrat kann man ertragen?
Ein unerfüllter Kinderwunsch und eine ungewollte Doppelehe
Ein sehr eindringliches Buch, in dem die Hauptfiguren Yejide und Akin jeweils für sich sprechen: Aus der Sicht beider werden die Geschehnisse erzählt, reflektiert und analysiert. So wechselt die Ich-Perspektive zu Beginn für den Leser recht unvermittelt, doch wenn man sich eingelesen und das Prinzip der Rückschauen verstanden hat, kann man dem Geschehen unkompliziert folgen. An manchen Stellen schweift die Autorin ab und verliert den Erzählstrang aus den Augen, oder erläutert die Geschehnisse unnötig lang. Dies nimmt teilweise die Spannung, die in der Erzählung schon allein durch die ernste Thematik ganz klar verankert ist, in wesentlichen Augenblicken fort. Deutlich werden Kritik an der Polygamie und das Erleben für die Frau, die sich dagegen nicht wehren kann. Auch Yejides Erfahrungen als Kind mit mehreren Müttern (wobei ihre leibliche bei der Geburt starb) werden angedeutet. Doch für Ehemann Akin ist die Situation unter dem wachsenden Druck der Familie ebenfalls nicht einfach: Er selbst kann sich keine zweite Ehefrau vorstellen und mietet ihr daher eine Wohnung, die weit vom Haus entfernt ist. Es wird deutlich, dass auch er unter der Kinderlosigkeit und den Erwartungen leidet; vor allem, weil er der Erstgeborene ist und seine Brüder bereits Familien haben. Man erkennt, wie schwierig es ist, sich fest eingefahrenen Traditionen zu verwehren. Hier bleibt scheinbar kein Raum für persönliche Vorlieben oder Abweichungen von festen Strukturen. Als Hintergrund werden immer wieder Ereignisse der politischen Entwicklung Nigerias aufgenommen - von der Diktatur bis hin zu Putschversuchen.
Fazit
Der Roman ist ein Zeugnis über Wut, Trauer, Verlust und Liebe in einer patriarchalischen Gesellschaft zum Ende des 20. und Beginn des 21. Jahrhunderts am Beispiel einer nigerianischen Familie. Man erhält einen tiefen Einblick in die festen Familienstrukturen, denen eine junge moderne Liebe zweier Menschen trotzen und mit deren Konsequenzen sie leben muss. Deutlich wird der Spagat zwischen Tradition und Moderne: Zwei gebildete Menschen, die eigentlich unabhängig ihren Berufen nachgehen und finanziell gut aufgestellt sind, können ihr Leben nicht individuell gestalten – weil die Familie es so vorschreibt. Ayobami Adebayo hat ein faszinierendes Abbild der Gesellschaft gezeichnet. Wäre das Buch an einigen Stellen nicht so langatmig und etwas peppiger erzählt, würde es in jeglicher Hinsicht mitreißen; zum Nachdenken regt es auf jeden Fall an.
Deine Meinung zu »Bleib bei mir«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!