Trauer-Trip in Kuba
Entwurzelt, verwirrt, verrückt: so fühlt sich Fahrstuhl-Vertreterin Clare nach dem Tod ihres Ehemanns Richard, der von einem Auto erfasst wurde und starb. Das Gewühl dunkler Gedanken und Emotionen kann sie kaum noch sortieren. Ohne wirklich zu wissen, warum, begibt sie sich zu einem Filmfestival nach Havanna – auf Richards Spuren. Er war Akademiker; sein Lebenswerk bestand in der Analyse von Horrorfilmen. Vor Ort kommt sich Clare jedoch schon bald so vor, als wäre sie selbst in einem gelandet: Der Streifzug in der Fremde erscheint ihr unwirklich und konfus, und obwohl im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit der „erste kubanische Horrorfilm“ mit dem ausdrucksstarken Titel ‚Revolución Zombi‘ stehen sollte, der Richards Interesse an dem Festival erst begründet hat, verliert sie sich vor Ort mehr und mehr. Rätsel geben auch eine weiße Schachtel aus der Hinterlassenschaft ihres Mannes, ein kleines rotes Notizbüchlein sowie ein Fingernagel in einer Schublade auf. Der merkwürdige Eindruck erreicht seinen Höhepunkt, als ihr plötzlich Richard über den Weg läuft. Es kann nicht sein, und doch ist sie sicher: Es ist ihr toter Ehemann, den sie hier in den Straßen Havannas sichtet. Clare macht sich auf eine Reise, den geheimnisvollen Vorgängen auf den Grund zu gehen – und taucht dabei tief in ihr Innerstes ein …
„Das Wohin war nirgends und das Hier vielleicht auch …“
Laura van den Berg ist mit Das dritte Hotel ein originelles, abgründig brodelndes Werk gelungen, das mit jeder Seite undurchschaubarer, aber gleichzeitig faszinierender wird. Der völlige Verzicht auf direkte wörtliche Rede schafft eine Art greifbarer Distanz – ähnlich der, die Clare zu ihren eigenen Gefühlen empfindet –, ohne dass das Buch dadurch an Sogfähigkeit einbüßen würde. Das berufliche Sujet von Clares Mann Richard ist nicht zufällig gewählt. So wimmelt es nicht nur von Anspielungen und Fachbegriffen aus dem Genre des Horrorfilms, sondern werden diese auch noch intelligent eingesetzt, um Clares Wahrnehmung zu beschreiben und den Leserinnen die (alb-)traumwandlerische Stimmung ihres Trips eindringlich näherzubringen. Oftmals fühlt man sich bei der Lektüre geradezu wie in ein surreales Gemälde hineinversetzt.
Je weiter Clare voranschreitet, desto mehr wird ihre nicht enden wollende Reise zum unentwirrbaren Mysterium. Immer, wenn sie das Gefühl hat, ihrem Mann (oder seinem Doppelgänger?) näherzukommen, entgleitet er ihr wieder – wörtlich wie metaphorisch. Doch trotz all der seltsamen, gelegentlich grotesken und oft auf den ersten Blick zusammenhanglosen Ereignisse, trotz der manchmal schweren und düsteren Atmosphäre kommt sogar Humor nicht zu kurz; dieser klingt zwar leise, aber unverkennbar zwischen den Zeilen durch. Die Autorin bedient sich einer hypnotischen Sprache, die sowohl für Beklemmungen sorgen als auch zutiefst berühren kann und die ihre Wirkung in der eleganten deutschen Übersetzung Sabine Schwenks beibehält.
„Wenn ein Tod ungewiss war, wurde auch das Leben ungewiss …“
Immer wieder werden Erinnerungsfragmente an Clares Vergangenheit eingestreut, sodass Zeit und Raum zunehmend ineinanderfließen, während die Handlung in ihr Unterbewusstsein vorstößt. Dort verbirgt sich nämlich der thematische Kern: wie der Tod unsere Wirklichkeit aus dem Gleichgewicht bringen kann, und wie wir damit umgehen und es verarbeiten (oder eben nicht). Die Thematik ist für Clare nicht nur aufgrund ihres verunfallten Ehemanns präsent, sondern auch durch die Krankheit ihres Vaters. Nicht zuletzt geht es ihr um das Loslassen – und auch darum, ihr ureigenes, unabhängiges Selbst wiederzuentdecken. Clares Reise wird zu einer ganz persönlichen Art der Trauerbewältigung. Man folgt diesem roten Faden gebannt durch den Text, vorbei an Bizarrem, Witzigem, Furchterregendem – aber auch immer zutiefst Menschlichem. Gibt es am Ende ein klares Ziel? So oder so fühlt man sich nach der letzten Seite – so wie Clare – auf eine sehr spezielle Art und Weise ein ganzes Stück lebendiger.
Fazit
Van den Berg hat einen Roman geschrieben, der sich nicht jedem erschließen wird, aber unter die Haut gehen kann. Das dritte Hotel ist nicht unbedingt leichte Kost, interessanterweise liest sie sich aber so flott und unterhaltsam, als wäre sie es. Die frische, kluge Mischung aus Stilelementen wirkt noch lange nach - eine Autorin mit einer ganz eigenen Stimme und ein Buch, das es verdient, seine Leserschaft zu finden!
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