Vaters Wort und Mutters Liebe

- OT: Testamente

- aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg

- HC, 544 Seiten

Vaters Wort und Mutters Liebe
Vaters Wort und Mutters Liebe
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Carola Krauße-Reim
681001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2020

Wie ein Rattenkönig an den Schwänzen verknotet ...

Familie Toimi wohnt auf einem Bauernhof im finnischen Tornedal an der Grenze zu Schweden. Vater Pentti ist ein Familientyrann, Mutter Siri ist duldsam und hält die Familie zusammen. Von den zwölf noch lebenden Geschwistern haben einige schon das Elternhaus verlassen, die Kleinen aber müssen weiterhin dort leben, immer den Launen des Vaters ausgesetzt. Doch das Band zwischen den Geschwistern und zur Mutter ist so stark, dass sich alle immer wieder in Tornedal treffen. Aber an diesem Weihnachten in den frühen 80er Jahren passiert etwas, das die ganze Familie verändert - und das zu einem Toten führen wird…

Toimi heißt „funktionsfähig“

Mit der Wahl dieses Nachnamens hat die Autorin ihren Sinn für Humor bewiesen, denn funktionieren tut diese Familie – mehr aber auch nicht. Sie ist in zwei Lager gespalten: die Geschwister und die Mutter auf der einen Seite und Vater Pentti auf der anderen. Berührungspunkte gibt es keine mehr; die älteren Geschwister haben sich schon abgesetzt und die jüngeren warten nur auf das richtige Alter, um es ihnen gleichzutun. Wähä hat es geschafft, die Großfamilie dem Leser nahe zu bringen, und das nicht nur durch die Auflistung der Personen mit kurzer Charakterisierung am Anfang des Buches: Jedes Familienmitglied fungiert als Protagonist in seinem eigenen Kapitel. Der Leser lernt alle bis in ihr Innerstes kennen. Jedes Kind ist eine verletzte Seele mit eigenem Charakter und so werden Esko, Helmi, Arto, Annie und all die anderen zu unverwechselbaren Personen, was man im Angesicht der langen Liste fremd klingender Namen eingangs der Geschichte gar nicht glauben mag. Auch Pentti und Siri kommen zu Wort: Sie offenbaren den tiefen, anhaltenden Schmerz, der durch den frühen Tod ihrer beiden ältesten Kinder verursacht wurde. Er hat sie auseinander driften lassen. Statt sich zu stützen, zieht sich Pentti immer mehr zurück, während Siri alles erduldet, weil sie die Scheidung bisher nicht gewagt hat.

Familiengeschichte mit einem Hauch Krimi

Wäha entführt den Leser in die karge Landschaft des finnisch-schwedischen Grenzgebietes. Ihre Beschreibungen lassen die Einsamkeit des Hofes, die Kälte des Winters, aber auch die taghellen Nächte des Sommers mit seinen Mückenschwärmen spürbar werden. Der Leser taucht ein in eine Welt, die fremd und auch abstoßend ist. Die Trostlosigkeit in der Familie Toimi steckt in jedem Wort. Sie hat alle geprägt und zu mehr oder weniger gescheiterten Existenzen gemacht. Die damit einhergehende Perspektivlosigkeit wird mit jeder Menge Alkohol, Drogen und frühem Sex kompensiert. Die eingehenden Charakterstudien sind der eine Part des Romans - der andere ist ein ungeklärter Todesfall, der sich auf dem Hof ereignet. Er wird durch Ereignisse während des Weihnachtsfestes eingeläutet, die dem Leser lange verborgen bleiben. Die Aufklärung des Mordes bedarf dann ebenfalls einer gründlichen Lektüre zwischen den Zeilen, denn explizit wird der Täter nie genannt. Und hier liegt auch der Schwachpunkt des Romans: Jedes Kapitel beinhaltet mehr als das Gesagte, oft ist das Verschwiegene wesentlich wichtiger. Das macht die zahlreichen und teilweise ziemlich ausufernden Passagen noch schwieriger, denn jedes Detail ist wichtig und darf nicht überlesen werden. In diesem Zusammenhang sind die ständig eingestreuten Phrasen auf Englisch ziemlich nervig und absolut unnötig, genauso wie die kurzen Zusammenfassungen eingangs jedes Kapitels, die mehr zu einem Theaterstück als zu einem Roman passen würden. Eine weitere Hürde ist der manchmal mit einem Übermaß an Füllwörtern gespickte Schreibstil. Anfangs ist er mehr als gewöhnungsbedürftig, aber nachdem man eingesehen hat, dass er sich auf den mehr als 540 Seiten nicht verbessern wird, findet man sich eben damit ab und kann diese dann doch einigermaßen flüssig lesen. Lediglich das Vater Pentti gewidmete Kapitel irritiert sprachlich sehr und ist eine echte Herausforderung für die Logik: Hier mutiert ein wortkarger, wenig gebildeter Familientyrann zu einem sprachgewandten Briefeschreiber, der sich elaboriert auszudrücken weiß. Eine dem Wesen Penttis angepasste Sprache wäre realistischer gewesen und hätte der Geschichte weniger geschadet.

Fazit

Mit Vaters Wort und Mutters Liebe hat Nina Wähä eine Familienstudie vorgelegt, die sie mit einem Mord angereichert hat. Wer sich auf den Schreibstil einlässt, wird mit einer Geschichte belohnt, die mit jedem Kapitel fesselnder wird und zu der die direkte Übersetzung des Originaltitels Testamente wesentlich besser gepasst hätte - denn jedes Leben in dieser Familie hinterlässt ein Testament. Nur für Leser kurzweiliger Literatur ist dieses Buch nichts: Es verlangt durchgehende Aufmerksamkeit für die immerhin gut über 540 Seiten.

Vaters Wort und Mutters Liebe

Nina Wähä, Heyne Hardcore

Vaters Wort und Mutters Liebe

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