Eine böse Stiefmutter, die den Geschwistern ihr Zuhause verwehrt
Ein besonderes Gebäude, genannt das Holländerhaus - weil dort einst eine holländische Familie lebte -, das geliebt, aber auch gehasst wird, steht im Mittelpunkt des Geschehens. Was sich zunächst eintönig anhören mag und die Frage aufwirft, wie man so viele Seiten mit ein und demselben Thema füllen kann, überrascht. Es erwartet einen viel mehr, als es zu Beginn den Anschein hat: Eine böse Stiefmutter, die ihren Stiefkindern nach dem Tod des Vaters das Zuhause verwehrt, sowie ein Geschwisterpaar, das sich jahrzehntelang mit dem Haus und der eigenen Familiengeschichte beschäftigt - all diese vereint der Roman von Ann Patchett, die es vermag, eindringlich, aber nicht aufdringlich zu formulieren. Sie verführt durch ihre eigene Art des Erzählens, wobei es nicht um Rache oder Eifersucht, sondern um Fürsorge, Miteinandersein und vielleicht auch das Verzeihen geht.
Danny und Maeve, die mittlerweile erwachsenen Geschwister, besuchen ihr altes Zuhause immer noch regelmäßig aus der Ferne. Vom Auto aus blicken sie auf die Fassade und denken über ihr gemeinsames Leben dort nach: die Mutter, die die Familie ohne Ankündigung verlassen hat; der Vater, der keine Gefühle zeigen konnte; die Stiefmutter, die von Anfang an Gefallen an dem Haus fand; die Hausangestellten, zu denen sie eine besondere Beziehung haben; und der Einzug der Stiefschwestern.
Keine tränenreiche Geschichte mit vermeintlichem Happy End
Maeve kümmert sich zeitlebens um ihren Bruder Danny, auch als er schon verheiratet ist und Kinder hat. Dannys Frau hat dazu ihre eigene Meinung, doch das Geschwisterpaar kann sich nicht voneinander trennen - dafür haben sie zu viel durchgemacht. Es geht der Autorin nicht darum, eine tränenreiche Geschichte mit vermeintlichem Happy End zu erzählen, sondern um eine Familiensaga, die in den Fünfzigerjahren beginnt. Dazwischen schwingen Nuancen der jeweiligen Epoche, wie die Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft, die Schere zwischen Arm und Reich oder eine Geschwisterbeziehung, die alles überdauert. Dabei wird das Geschehen auf verschiedenen Zeitebenen geschildert und springt hin und her, was aber nicht verwirrt, sondern dem Ganzen noch den letzten Schliff verleiht. Alles wird aus Dannys Sicht berichtet, flüssig und bildreich formuliert. Ihm wird im Laufe der Handlung einiges bewusst, was mit seiner Familiengeschichte zusammenhängt – denn er war schließlich noch klein, als seine Mutter ihn verließ, und erst 15, als die Stiefmutter ihn aus dem Haus warf und er bei seiner sieben Jahre älteren Schwester unterkommen musste. Gedanklich ist das Holländerhaus ein Stück Heimat für ihn, auch wenn es gemischte Gefühle auslöst.
Fazit
Bei diesem Familienroman geht es um das Betrachten und Aufarbeiten der eigenen Vergangenheit, manifestiert in der Begegnung mit einer herrschaftlichen Villa - dem Holländerhaus. Das Geschehen kommt ohne großes Auf und Ab aus, bewegt sich beinahe geradlinig an den Werdegängen des Geschwisterpaares entlang. Die Erzählkunst, die die Autorin grandios beherrscht, liegt in der wunderbaren Sprache der Bilder und der Zeichnung der Protagonisten Danny und Maeve, die man direkt ins Herz schließt.
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