Untertauchen

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  • Erschienen: September 2020
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- OT: Everything Under

- aus dem Englischen von Birgit Maria Pfaffinger

- TB, 304 Seiten

Untertauchen
Untertauchen
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Carola Krauße-Reim
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Belletristik-Couch Rezension vonSep 2020

Was geschah vor 16 Jahren?

Die Britin Daisy Johnson, Jahrgang 1990, legt nach ihrem viel gelobten Debüt Fen mit Untertauchen einen starken zweiten Roman vor. Im Original bereits 2018 erschienen, kam er auf die Shortlist des „Man Booker Prize“ und machte Johnson damit zur jüngsten nominierten Autorin.

Gretel sucht ihre Mutter

Gretel lebt mit ihrer Mutter Sarah auf einem Hausboot irgendwo in England. Ihr Leben ist abgeschieden, sie haben kaum Kontakt zur Außenwelt, kreieren ihre eigene Sprache; sie haben sich in ihrer Zweisamkeit eingerichtet. Sarah versucht ihre Tochter zu unterrichten, indem sie eine Enzyklopädie mit ihr liest und ihr das Überleben abseits der Zivilisation lehrt. Doch als Gretel 16 Jahre alt ist, wird sie von ihrer Mutter verlassen. Obwohl Gretel nach ihr sucht, bleibt sie spurlos verschwunden. Erst weitere 16 Jahre später tut sich eine Spur auf und Gretel hofft zu erfahren, was damals passiert ist…

Perspektiv- und Zeitenwechsel erfordern Aufmerksamkeit

Daisy Johnson erzählt die Geschichte in verschiedenen Strängen, die unterschiedliche Protagonisten haben und zu unterschiedlichen Zeiten handeln. Vom Leben auf dem Fluss erfahren wir durch Margot, die Sarah und ihre Tochter kennenlernt und eine Zeit lang bei ihnen wohnt. Das und Margots Vorgeschichte wird durch einen auktorialen Erzähler berichtet, der sie von ihrer Kindheit bis zu ihrer Zeit auf dem Boot begleitet. Die Suche nach Sarah und das Leben von Mutter und Tochter nach deren Wiederauftauchen werden aus der Ich-Perspektive Gretels geschildert, die damit zur tragenden Protagonistin wird. Der Leser erfährt nicht nur ihre Gedanken, Ängste und Emotionen, sondern taucht ein in ihre Persönlichkeit, die geprägt ist von ihrer traumatischen Vergangenheit. Die ständigen Perspektivwechsel und Zeitsprünge verlangen eine hohe Aufmerksamkeit beim Lesen, nicht zuletzt, weil jede Handlung, jeder Gedanke wichtig ist. Dass man aber dennoch der Geschichte problemlos folgen kann, liegt auch an den gut herausgearbeiteten Charakteren; Sarah, die Außenseiterin, Gretel die Alleingelassene und Margot, die ihre Identität sucht, sind plausibel und glaubhaft geschildert, wenn auch durch ihre Individualität etwas gewöhnungsbedürftig.

Der Fluss bestimmt das Leben der Menschen

Neben den Figuren spielt der Fluss eine tragende Rolle in dem Roman: Sein Wasser kann träge dahinfließen oder gurgelnd strömen, er kann in gleißendes Licht getaucht sein oder von wabernden Nebeln verhüllt. Aber immer bestimmt er das Leben der Menschen, die auf ihm leben und die eine besondere Spezies sind. Die Schilderungen des Flusses und der umgebenden Natur sind ein wichtiger Bestandteil des Buches und geben dem Erzählten etwas Mystisches. Wenn die Autorin es bei dieser Prise Mystik belassen hätte, wäre es genau die richtige Würze für die Mutter-Tochter-Geschichte gewesen. Doch leider wurde noch tiefer in die diese Kiste gegriffen: Plötzlich spielt der Kanaldieb eine Rolle, den niemand sieht, der aber Tiere tötet, Dinge klaut und nachts durch die Gegend streicht; es gibt Fiona, die Dinge vorhersehen kann und die am unglaubwürdigsten geschilderte Figur ist; und da ist noch der Bonak, der die Flussbewohner bedroht, ihnen nach dem Leben trachtet und der auf ziemlich überflüssige Weise verschwindet. Hier hat die Autorin eindeutig zu viel gewollt und damit die Geschichte zerpflückt und unglaubwürdig gemacht, was sehr schade ist, wäre sie doch ohne diesen mystischen Touch wesentlich realistischer gewesen.

Die Vergangenheit bedingt die Gegenwart

Gretel will wissen, was damals geschah, und bringt mit ihrer Suche die Vergangenheit ans Licht. Die Erzählung läuft auf einen Punkt hin, an dem die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft wird; die Schicksale der Handelnden vereinen sich und die ganze Wahrheit kommt ans Licht. Dabei wird klar, dass jede Begebenheit und jede Äußerung im Leben Konsequenzen nach sich zieht, die für alle schicksalsträchtig sein können. Johnson verwebt die Erzählstränge so gekonnt, dass auch ihr teilweise stakkatohafter Stil den Lesegenuss nicht schmälert und die kaum vorhandene wörtliche Rede nicht auffällt. Was damals wirklich geschah ist eine Verknüpfung sehr tragischer Umstände und so traurig, dass es zu Herzen geht.

Fazit

Daisy Johnson ist mit Untertauchen endgültig im Olymp der Geschichtenerzählerinnen angekommen. Ihre Mutter-Tochter-Geschichte ist sowohl emotional als auch spannend, selbst wenn ihr die übertriebene Mystik viel an Glaubwürdigkeit nimmt.

Untertauchen

Daisy Johnson, btb

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