Eine packende, überraschende Flucht aus der Welt
Yuki ist ein junges Mädchen und eine Tagträumerin. Sie ist der Überzeugung, magische Kräfte zu besitzen und mit einem Außerirdischen befreundet zu sein. Das unterscheidet sie grundlegend von anderen Kindern und von den Erwachsenen. Deshalb ist sie eine Außenseiterin, wird oft übergangen, nicht ernst genommen und für ihr merkwürdiges Verhalten kritisiert. Nur ihr Cousin Yu versteht sie, denn auch er ist ein Außerirdischer. Yu kommt vom selben Planeten wie Yukis außerirdischer Freund. Leider wohnen Yuki und Yu weit voneinander entfernt und sehen sich nur einmal im Jahr, wenn im Haus der Großeltern, im kleinen Ort Akinisha, das Ahnenfest Obon gefeiert wird.
Tragische Kindheit
Die Kindheit von Yuki ist eine Mischung aus Verwirrung, Hoffnung und Qual. Das Mädchen wird in der Familie schlecht behandelt, da sie immer in Gedanken verloren ist und sonderbare Ideen hat. Ihre Mutter schimpft sie oft aus, ebenso ihre ältere Schwester. Als Yuki eines Tages von einem Lehrer belästigt wird, will ihr niemand glauben. Denn Yuki ist komisch, sie hat eine blühende Fantasie. Ihre zarten Hilferufe werden von niemandem gehört. Vielmehr soll Yuki nicht schlecht über den Lehrer sprechen. Für Yuki bleibt nur ein Ausweg: Sie versucht sich von der Welt zu lösen, in der ihr niemand zuhören will. Dazu benutzt sie ihre magischen Fähigkeiten, die sie von ihren außerirdischen Freund erhalten hat.
Der Leser leidet mit dem jungen Mädchen, das sich nicht zu helfen weiß und keine Unterstützung von Freunden und Familie erhält. War Yuki zu Beginn des Buches noch ein verträumtes und sympathisches Kind, so wird sie innerhalb kurzer Zeit zu einer komplexen Figur, die leidet und Abwehrmechanismen entwickelt, um das Dasein ertragen zu können.
Flucht vor der Fabrik
Als erwachsene Frau ist Yuki weiterhin eine Außenseiterin. Jedoch kann sie sich ein wenig in die Gesellschaft integrieren und zumindest den Anschein waren, als führte sie ein normales Leben. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in einem kleinen Apartment in der Nähe vom Bahnhof. Die beiden verstehen sich gut, sind aber nur Freunde, die ihren jeweiligen Elternhäusern und der Überwachung entfliehen wollen. Ein Ehepaar im klassischen Sinne sind sie nicht und das darf niemand wissen. Denn die beiden wissen um die Erwartungen der Gesellschaft und der Familien. Sie sollen arbeiten, Geld verdienen, Kinder bekommen und großziehen.
Yuki und ihr Mann sprechen immerzu von der Fabrik: die Gesellschaft mit ihren Zwängen und Ideen, von denen man nicht abweichen darf. In der Menschen fabriziert werden müssen, damit die Fabrik weiterlaufen kann. Die beiden fühlen sich verfolgt von der Fabrik und eingesperrt. Sie können nicht ihr eigentliches Leben führen, da ihnen die Fabrik vorgibt, wie sie zu leben haben. Die Abneigung gegen die Fabrik hält die beiden zusammen.
Die Ablehnung der Gesellschaft und der vorherrschenden Ideen ist ein höchst interessantes Thema, das die Autorin Syaka Murata auf ungewöhnliche, beeindruckende Weise zu thematisieren weiß. Ihre Protagonistin Yuki durchläuft verschiedene Stadien der Ablehnung und der Leser begleitet sie dabei. Zuerst hat alles einen kindlichen Anstrich und Yukis Idee, außerirdische Freunde zu haben, erscheint liebenswert und geistreich. Doch schnell wandelt sich Yukis Tendenz, aus der Welt der Erwachsenen zu fliehen. Sie wird zu einem Überlebensmechanismus, der großem Schmerz entspringt. Später rutschen Yuki, ihr Mann und dann auch noch Yu mit ihren Gedanken in Sphären, die sie vom Rest der menschlichen Gesellschaft trennen und ein normales Leben nahezu unmöglich machen.
Fazit:
Sayaka Murata überrascht und fasziniert: Das Seidenraupenzimmer ist eine unerwartete Achterbahnfahrt und ein bemerkenswerter Einblick in die Gedankenwelt einer kleinen Tagträumerin, die zum Träumen gezwungen wird.
Deine Meinung zu »Das Seidenraupenzimmer«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!