Fantasy trifft auf Liebesgeschichte
Nach einer schwächenden Krankheit wird Emmett der neue Lehrling von Buchbinderin Seredith. In seinem Leben haben Bücher nie eine Rolle gespielt - sie gab es einfach nicht auf dem Bauernhof seiner Eltern. Doch jetzt lernt er, dass ein Buchbinder mehr kann als nur Blätter zusammenzuheften: Die alte Seredith bindet Erinnerungen, die ihre Besitzer loswerden wollen. Bald erkennt Emmett, dass auch von ihm ein Buch mit Erinnerungen existiert. Wieso weiß er nichts mehr davon, und was wollte er vergessen ..?
Eine Welt ohne Bücher
Man erfährt nicht viel von der Welt, in der Emmett lebt: Die Kreuzzüge scheinen noch nicht lange her zu sein - doch ist es keine mittelalterliche Gesellschaft; die Industrialisierung hat noch nicht eingesetzt – doch scheinbar gibt es schon Erntemaschinen; die Menschen bewegen sich mit Kutschen oder zu Pferde, die Städte muten viktorianisch an - die ländliche Umgebung ist aber eher mittelalterlich. Sicher ist nur, dass es in dieser Gesellschaft keine Bücher im Sinne von Literatur gibt; lediglich die Bücher mit den unliebsamen Erinnerungen scheinen zu existieren, und die sollten sich immer in gut verschlossenen Räumen bei den Buchbindern befinden. Bridget Collins lässt so eine fiktive Gesellschaft entstehen, die den Roman in der Fantasy-Ecke verortet. Der Leser sollte bereit sein, sich in eine irreale Welt zu begeben, die aus einer Mischung von Fiktion und Realität besteht. Lässt man sich darauf ein, entführt die Autorin in eine anfangs spannend mysteriöse Geschichte, die sich aber sehr schnell zu einer banalen Lovestory abschwächt.
Vor und zurück
Der Roman ist in drei Teile gegliedert, die sich erst am Ende zu einem Ganzen verflechten: Während wir anfangs erleben, wie Emmett zu Seredith kommt, erfahren wir im zweiten Teil die Hintergründe aus der Vergangenheit, die zu diesem Umzug geführt haben; der dritte Teil beschreibt die aus Vergangenheit und Gegenwart resultierenden Folgen. Die ersten beiden sind aus Emmetts Sicht erzählt, der dritte aus Sicht einer anderen Person. Das hätte der Autorin die Möglichkeit gegeben, dem Leser die Protagonisten in aller Tiefe, mit allen Gedanken und Gefühlen vorzustellen. Doch diese Chance hat sie nicht in Gänze genutzt. Hier hätte der Geschichte mehr „Show, don‘t tell“ gut getan, denn die Situation der Hauptpersonen bietet nun wahrlich genug Gelegenheit, tief in die emotionale Kiste zu greifen. So aber betrachtet man das Geschehen oft von außen. Gepaart mit wenig anspruchsvollem Schreibstil und simplen Dialogen wird so viel Schwung aus dem Roman genommen, der nach dem zweiten Kapitel sowieso massiv an Spannung verliert: Nachdem der Leser die Erklärungen für alles Handeln kennt, ist lediglich die Frage noch offen, was daraus entsteht. Der Schluss allerdings versöhnt dann wieder etwas mit den mehr als 400 Seiten relativ seichter Unterhaltung.
Fazit
Die verborgenen Stimmen der Bücher ist ein Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz. Wer allerdings eine tiefgründige Geschichte erwartet, dürfte enttäuscht werden, denn „jeder braucht eine Geschichte – auch wenn sie gefährlich ist“ trifft hier nicht zu - diesen Roman brauchen nur Leser von Liebesgeschichten. Sie allerdings kommen voll auf ihre Kosten: Vom wunderbaren Cover über ausreichend zu bewältigende Schwierigkeiten bis hin zum Happy End ist alles vertreten.
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