Babelhaftes Familientreffen
„Ausgerechnet ein Türke!“ Die Reaktion von Kingas polnischstämmigen Eltern auf ihren neuen Freund hätte kaum unsensibler ausfallen können. Bislang hat sie Mahmut erfolgreich vor ihnen versteckt – aus Angst vor eben genau dieser Reaktion. Dass sie längst mit ihm verlobt ist, behält sie dann doch lieber erst einmal für sich. Jede Hoffnung, dass sich Mama und Papa schnell für ihren Liebsten erwärmen, scheint vergebens. Stattdessen soll das Kennenlernen nun sogar in der alten Heimat stattfinden. Also machen sich alle gemeinsam auf den Weg raus aus Berlin und hin zur Oma nach Oppeln, denn die Hochzeit von Kingas Vorzeige-Cousine Marta steht an.
Entspannter wird die Lage dort nicht, und schnell zeigt sich, dass Vorurteile offensichtlich keine Einbahnstraße sind. Um mit der Situation klarzukommen, durchforstet Kinga mehr und mehr ihre Erinnerungen, schöpft aus der eigenen Vergangenheit – und findet Überraschendes heraus über die Liebe, über Werte, über Tradition, über unterschiedliche wie gemeinsame Diskriminierungserfahrungen, über Familie - und über sich selbst …
„Polish Horror Picture Show“
Bianca Nawrath, Journalistin und Schauspielerin, legt mit Iss das jetzt, wenn du mich liebst ihren ersten Roman vor. Dieser gehört zum vielseitigen Debütprogramm des neu gegründeten Ecco-Verlags, der Bücher nur von Frauen verlegt (deren Cover - doch das nur am Rande - sehr stimmig gestaltet sind). Und sowohl die Autorin als auch Ecco haben mit diesem Titel einen Treffer gelandet! Nawrath entpuppt sich durch ihr erstes literarisches Werk als wahres Allroundtalent, und die Balance zwischen einfühlsamem Familienporträt und intelligenter Multikulti-Komödie geht ihr erstaunlich leicht von der Hand. Besonders punkten kann sie mit der gewinnend neurotischen, sympathischen Hauptfigur Kinga, die mit ihrem Witz die perfekte Identifikationsfigur abgibt. Das wird besonders im letzten Drittel des Romans wichtig, wo sich der Einsatz erhöht und der Humor verhaltener wird: Kinga muss sich mit dem besiegt geglaubten Alkoholproblem ihres Vaters auseinandersetzen, der das Wohlergehen der Familie bedroht; alte und neue Narben reißen auf, aber es werden auch liebevolle Bande wiederentdeckt und verstärkt.
„Das Ei will klüger sein als die Henne“
Trotz zündender Comedy sind die Figuren vielschichtig und keine bloßen Stereotypen (auch wenn es auf Handlungsebene natürlich häufig um ebenjene geht). Der Klappentext verrät, dass Bianca Nawrath sich für dieses Buch teils von eigenen Erfahrungen hat inspirieren lassen, was ihm eine erfrischend authentische Direktheit verleiht. Gefühlvolle Nuancen eröffnen sich vor allem durch Kingas Erinnerungen an verschiedene Episoden aus ihrer Kindheit, Jugend sowie jüngster Vergangenheit, die sie geprägt haben und die an entscheidenden Punkten der Handlung immer wieder in Kursiv eingeschoben sind. Dadurch erschließen sich die Charaktere, die Hintergründe der Familiengeschichte(n) sowie die Konflikte in der Gegenwart noch einmal ganz anders.
„Alle unsere Eltern sind auf irgendeine Art und Weise denkbeschränkt. Allerdings trotzdem liebenswert und trotzdem unsere Eltern“
Vor allem Kingas ambivalentes Verhältnis zu ihrer Heimat verleiht dem Plot seinen Reiz: Sie weiß (und weiß zu schätzen), dass ihre Eltern sich in Deutschland ein besseres Leben für ihre Kinder erhofft haben; sie ist sozialisiert im modernen Berlin und bringt entsprechende Ansichten mit; dennoch liebt und versteht sie Polen, auch wenn sie die dort teils noch gelebten Werte oft nicht teilen kann. Kinga findet sich wider Willen zwischen den familiären und kulturellen Fronten wieder und muss sich dabei neu verorten – ein komplexer Prozess, den zu beginnen sie aber schließlich bereit ist (dies bezeugen u.a. die polnischen Sprichworte, die jedes Kapitel mit einem Augenzwinkern eröffnen). Nicht nur ihr Bild von ihrer Beziehung verändert sich dadurch, sondern auch ihr Bild von ihrer eigenen Identität. Am Ende bewegen sich beide Seiten dann doch noch aufeinander zu – zumindest ein kleines Stück. Geht der Humor dabei vielleicht gelegentlich zu sehr unter, ist die Entwicklungskurve insgesamt ansprechend. Die Leichtigkeit, mit der hier sehr persönliche, gleichzeitig aber so universelle Themen literarisch aufbereitet werden, ohne in Kitsch abzudriften, gibt dem Roman eine besondere Note.
Zu guter Letzt ist zur allgemeinen Versöhnung auch noch ein Rezept für schlesische Kluski mit Mamas bestem Apfel-Rotkohl beigefügt - na dann (um Bianca Nawrath zu zitieren): "Smacznego!"
Fazit
So viel Spaß kann eine Begegnung von Kulturen und Generationen machen! Iss das jetzt, wenn du mich liebst ist eine kurzweilige und unterhaltsame, aber durchaus auch tiefgründige Familienkomödie am Puls der Zeit und mit einer Extraportion Charme. Ein gelungenes Debüt!
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