Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt
- Kiepenheuer und Witsch
- Erschienen: Januar 1976
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- Bogotá: -, 1961, Titel: 'El coronel no tiene quien le escriba', Originalsprache
- Köln : Kiepenheuer und Witsch, 1976, Seiten: 126, Übersetzt: Curt Meyer-Clason
- München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1980, Seiten: 125, Übersetzt: Curt Meyer-Clason, Bemerkung: Lizenzausgabe
- Köln : Kiepenheuer und Witsch, 1998, Seiten: 101, Übersetzt: Curt Meyer-Clason, Bemerkung: Mit Arbeiten von Rosemarie Trockel
- Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 2004, Seiten: 124, Übersetzt: Curt Meyer-Clason, Bemerkung: Lizenzausgabe
Nach dem Bürgerkrieg ist vor dem Hahnenkampf
Der Oberst wartet auf einen Brief und auf das Leben, welches ihm und den Leuten in seinem Dorf gestohlen wurde. In tropischer Hitze verfallen sie langsam an Körper, Seele und Geist. Sie sind arm und ohne Perspektiven, haben wenig Freude und noch weniger Hoffnung. Der Oberst und seine Frau stehen allen voran, sie leiden am stärksten, ihr Dasein ein Warten auf Erlösung. Zu Beginn seiner Karriere als Schriftsteller schrieb García Márquez einen Roman, der von Reglosigkeit und dem Ungesagten erzählt.
In einem Dorf ohne Namen wartet der Oberst auf einen Bescheid der Regierung, eine Auszahlung seiner Veteranenpension, die ihm rechtlich zusteht und die seine einzige Hoffnung ist die Lebensverhältnisse wieder in Griff zu bekommen. Er lebt mit seiner kranken Frau in Armut, meist ist Kaffee ihre eigene Nahrung. Der Sohn wurde von der Polizei erschossen, von ihm blieb nur ein prächtiger Hahn, der auch gefüttert werden muss. Im Hahnenkampf steckt viel Geld und Ehre, deshalb will der Oberst den Hahn behalten, auch wenn er selbst fast verhungert.
Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt ist ein ungewöhnlich kurzer und dichter Roman aus der Feder des großen kolumbianischen Schriftstellers García Márquez. Ungekünstelt zeigt er gesellschaftlichen und persönlichen Verfall infolge von Machtkämpfen, wie sie in Kolumbien üblich waren und immer noch sind. Ein Land geprägt von Gewalt und Korruption, Armut und Machtmissbrauch – das Szenario ist erdrückend und wenig Hoffnung hegt man für den Oberst, der jedes Mal vom Postboten enttäuscht wird. Im Bürgerkrieg hatte er gekämpft und an dessen Ende die Zusicherung bekommen entschädigt zu werden, doch die neue Regierung kümmert sich wenig um alte Versprechen. Die Veteranen bleiben ohne Geld, Achtung und warten am Rande der Gesellschaft auf ihre Pension, für die sie einst ihr Leben aufs Spiel setzten.
Es ist ein realistischer Roman, noch ohne Magie, aber gefüllt mit tropischer Hitze und starken Bildern, die keiner Steigerung bedürfen. Der Hahn steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, auf ihn setzt letztendlich das ganze Dorf seine Hoffnungen, mit ihm wollen alle zu Geld kommen und auch wieder leben.
Gabriel García Márquez wurde am 6. März 1927 im Dorf Aracataca nahe der kolumbianischen Karibikküste geboren. Er wurde der bekannteste lateinamerikanische Schriftsteller, vor allem durch seinen epochalen Roman Hundert Jahre Einsamkeit, der über 30 Millionen Exemplare verkaufte und als Meisterwerk des magischen Realismus gefeiert wurde. Im Jahre 1982 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. García Márquez lebte seit vielen Jahren in Mexiko-Stadt, wo er am 17. April diesen Jahres verstarb. Sein Sarg wurde im Palast der schönen Künste aufgebahrt, damit sich seine Anhänger von ihm verabschieden konnten, in Kolumbien wurde eine Staatstrauer von drei Tagen angeordnet. Staatsoberhäupter und Kulturschaffende aus aller Welt bekundeten öffentlich ihre Sympathie für den Schriftsteller. Auch in Deutschland wurde sein Tod mit Trauer aufgenommen, die Feuilletons waren über mehrere Tage mit Nachrufen gefüllt.
García Márquez hat Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt 1957 in Paris verfasst. Er arbeitete damals für die kolumbianische Zeitung El Espectador. Es war eine von vielen Anstellungen als Journalist, die ihn in seinem Leben in viele Länder brachten und das Fundament legten für seine literarische Tätigkeit. Den Journalismus bezeichnete er als seine wahre Bestimmung.
Die Sprache im Buch ist klar und nüchtern, alles ist auf ein Minimum reduziert, auf das Notwendige, welches die Geschichte ausmacht. Dies betrifft die Beschreibungen des Dorflebens, sowie die Dialoge zwischen dem Oberst und seiner Frau, dem Arzt oder dem Geschäftsmann Don Sabas. Die Armut der Menschen ist nicht nur ökonomischer Natur, sondern auch sozial und kulturell. Es gibt kein Leben mehr, nur noch leere Routinen als Resultat von Unterdrückung. Bezeichnend ist die Ausgangssperre, die jeden Abend durch die Glocken signalisiert wird. Oder die Zeitungen, die der Arzt liest und nach Berichten über die Ereignisse in Europa durchsucht, um zwischen den Zeilen Hinweise auf politische Bewegungen im eigenen Land zu entdecken. Die Zensur hat den Journalismus getötet und will die Bürger entmündigen, wichtige Informationen müssen versteckt weitergegeben werden, auf illegalen Flugblättern. Doch wer mit solch einem Flugblatt aufgegriffen wird, kann leicht den locker sitzenden Pistolen der Polizei zum Opfer fallen, so wie der Sohn des Oberst.
Ein erdrückendes und faszinierendes Buch, welches viel erzählt auf wenigen Seiten, die Personen und Ereignisse mit klaren Worten beschreibt. Ein Muss für Anhänger Gabos.
Gabriel García Márquez, Kiepenheuer und Witsch
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