Ein Roman, der Hoffnung schenkt
Harmonie hat Tourette, weshalb es ihr schwer fällt, einen Job zu behalten – entweder macht sie etwas kaputt, oder sie beleidigt Menschen. Ein paar Häuser weiter wohnt Fleur, die an Agoraphobie leidet und daher kaum das Haus verlässt, geschweige denn mit anderen Leuten in Kontakt steht. Irgendwie finden die beiden aber doch zusammen, und eine wunderbare Freundschaft entsteht.
„Ich habe keine Zeit zu klingeln, Madame F. Suzain hat mich sicher kommen hören, kein Wunder, und als sie mir die Tür weit öffnet, bin ich gerade bei Fette Hure Schlampe. Da ist es nicht leicht, ganz natürlich zu lächeln.“
Harmonie fühlt sich in ihrem Leben eingeengt und nicht ernst genommen. Gerne würde sie selbstbestimmt in einem Beruf aufgehen, der ihr Spaß macht, und nicht auf ihr Tourette reduziert werden. Sie fühlt sich glücklich, dass sie zumindest Freddie hat, ihren verständnisvollen Freund. Doch zunehmend fühlt sie sich bevormundet, als würde er ihr nichts zutrauen. Auch deswegen will sie unbedingt arbeiten, und findet schließlich einen Aushang im Supermarkt.
Fleur ist 76, übergewichtig und leidet an Angststörungen. Ihr einziger Weggefährte ist ihr ebenfalls übergewichtiger Hund Mylord. Auch zu ihrem Therapeuten Doktor Borodine hat sie ein gutes Verhältnis; ansonsten meidet sie aber Menschen, so gut es geht. Da sie zur Sprechstunde bei ihrem Therapeuten aber immer einige Zeit unterwegs ist, wagt sie es, per Aushang einen Hundesitter zu suchen. Schon bald meldet sich die junge Harmonie und klingelt bei ihr.
Aufgrund der Aufregung werden Harmonies Ticks immer schlimmer und lauter und sie fängt an, auf die Wand im Hausflur vor Fleurs Wohnung einzuschlagen. Als Fleur öffnet und darüber erschrickt, schlägt sie mit Wucht ihre Tür wieder zu – nur dass in diesem Augenblick Harmonie ausschlägt und dazwischengerät. Ihr Arm ist gebrochen, und zwischen den beiden ungleichen Frauen entwickelt sich zögerlich, aber unausweichlich eine Freundschaft.
Ungewöhnlich geschrieben, aber geht schnell ans Herz
Marie-Sabine Roger schreibt in diesem Buch von zwei Frauen, die viel vom Leben wollen, aber jeweils gehandicapt sind. Als sie sich jedoch aufeinander einlassen, ergeben sich so viele neue Blickwinkel, dass man mit den beiden Protagonistinnen überrascht ist. Ihre Entwicklungen sind berührend zu lesen und vermitteln ein gutes Gefühl.
Gewöhnungsbedürftig ist eher der Schreibstil: Es wird abwechselnd aus der Sicht der beiden Frauen geschrieben, dabei jedoch höchst unterschiedlich. Fleur schreibt in ihr Tagebuch, löscht gerne mal Wörter raus, setzt viele Klammern und schweift oft ab. Das macht sie sehr nahbar und ergänz schlüssig ihren Charakter. Währenddessen spürt man hinter Harmonies Schreibweise den inneren Druck, der sich durch das Tourette aufbaut, ehe es in Ticks ausbricht. Daher sind ihre Sätze sehr lang und unzusammenhängend, oft ohne Satzzeichen, manchmal unterbrochen durch bellende oder andere Laute und damit unheimlich schwer zu lesen. Ich habe mir tatsächlich angewöhnt, ihre Kapitel im Kopf rappend zu lesen (kein Witz!). So habe ich zumindest ein wenig Kontrolle beim Lesen gehabt.
Nichtsdestotrotz ist es keine einfache Lektüre, obwohl die Geschichte an sich recht unspektakulär ist. Ich kann nur empfehlen, sich vollkommen darauf einzulassen, um die Frauen kennenzulernen, während diese einander kennenlernen.
Fazit
Der Roman liest sich wahrlich nicht einfach, und so entgehen einem mit Sicherheit einige Details, die man liebend gerne aufgenommen hätte. Doch hat mein sein Muster gefunden, erhält man eine wunderbare Geschichte über Freundschaft, Andersartigkeit und (Selbst-)Vertrauen.
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