Plansequenz des Schicksals
Der Zweite Weltkrieg ist vorüber. Walker kehrt in die USA zurück. Von New York City verschlägt es den Veteranen bald nach Los Angeles, näher der alten Heimat. Als Journalist will er dort über die Obdachlosen und das Elend in der Skid Row schreiben. Bald schon muss er jedoch feststellen, dass es so etwas wie „Heimat“ nicht mehr gibt …
„Das alte Spiel um Überleben und Verirrung“
Robin Robertson, selbst in Schottland geboren und in London ansässig, verschlägt es in diesem Buch literarisch über den Großen Teich und Jahrzehnte in der Zeit zurück: Er lässt seinen Kriegsheimkehrer Walker nach einem Zuhause suchen – ob nun alt oder neu –, nach einem Sinn in seinem Leben. Nüchtern und resigniert beobachtet Walker tagsüber, was mit den Heimatlosen in den Slums geschieht, und wenn es dunkel wird, lässt er sich durch das Nachtleben treiben. Inspiriert von wahren Begebenheiten wird auch geschildert, wie Teile von Los Angeles – diejenigen, die eben gerade von jenen durchstreift werden, über die ein Großteil der Gesellschaft hinwegsieht, als wären sie unsichtbar – dem Erdboden gleichgemacht werden. Gentrifizierung wird hier allegorisch verknüpft mit dem Gefühl der Isolation und absoluten Entwurzelung, das Walker plagt und den thematischen Kern bildet. Das Trauma des Krieges bricht sich in furchterregenden Flashbacks Bahn, die neben apokalyptischen Tagebucheinträgen immer wieder eingestreut werden. Stilistisch bedient sich Wie man langsamer verliert dabei der Lyrik und dem Freien Vers, schielt zur Prosa höchstens herüber.
„Deutscher Expressionismus trifft auf Amerikanischen Traum!“
Einige Gastauftritte innerhalb der sprunghaften Erzählung hat Robert Siodmak. Der deutschstämmige Filmregisseur floh vor dem Naziregime in die USA und schuf dort in den 40ern und frühen 50ern einige der Klassiker des „film noir“. Dieser Hauch von noir durchzieht den ganzen Text, der häufig geschickt Anspielungen auf damalige Kinohits fallen lässt. Düstere Brutalität, das Außerkrafttreten dessen, was man für moralische Gesetzmäßigkeit gehalten hat – dies sind grobe Merkmale des „film noir“, die diesem und der Kriegserfahrung ein Stück weit gemein sind, und die Walker bis in die Straßen von L.A. verfolgen. Was Zuflucht und Rückzugsort hätte sein können, ist vielmehr Nährboden für Korruption und schwelende Konflikte, die im Begriff sind, ihr ganz eigenes Traumatisierungspotenzial zu entfalten und die USA zu demaskieren. Die atemlose Dynamik des Buches hat aber auch ansatzweise Anklänge an die „city symphony“-films der 1920er Jahre, die den Fokus fort vom Individuum rückten und auf die kaleidoskopartige Nachbildung der Eindrücke einer sich stetig verändernden, schnelllebigen Urbanisierung verlagerten. Mithilfe dieser sehr unterschiedlichen metatextuellen Referenzen verwebt Robertson das Einzelschicksal einer gebrochenen Existenz mit dem rauschhaften Taumel einer Gesellschaft am Abgrund.
Fazit
Hin und wieder kommt es vor, dass ein Buch subjektiv nichts für einen ist, man ihm aber objektiv literarische Qualitäten nicht absprechen kann. An dem eigenwilligen, etwas experimentellen Ansatz von Robin Robertson mögen sich die Gemüter spalten. Diejenigen, die sich darauf einlassen können, werden dem Sog von Wie man langsamer verliert jedoch mit Sicherheit verfallen.
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