Monschau

- HC, 352 Seiten

Monschau
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Sabine Bongenberg
701001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2021

Die Liebe in den Zeiten der Pocken – manchmal etwas sperrig

1962 erhob ein totgeglaubtes Monster in einem kleinen Ort in der Eifel sein schreckliches Haupt: Ein Ingenieur der Junker-Werke des kleinen Örtchens Lammersdorf brachte von einer Montage aus Indien eine eigenartige Krankheit mit. Anfangs wirkte sie nicht einmal bedrohlich, verbreitete sich aber recht schnell. Die hinzugezogenen Ärzte diagnostizierten die Windpocken, mussten aber mit dem zunehmenden Ernst der Lage ihr Urteil ändern: Es handelte sich um eine Erkrankung, die sich hinter dem klangvollen Namen „Variola“ („die Bunte“) verbarg, aber generell unter dem Namen „Schwarze Pocken“ geläufig ist und heute selbst bei denen, die nur über sie lesen, eine geistige Totenglocke erklingen lässt. Variola breitete sich wie ein Lauffeuer aus, tötete rund 30 Prozent der Erkrankten, und auch die Überlenden mussten oft mit entstellenden Narben, schweren Schäden oder Blindheit weitermachen. In fieberhafter Eile wurden die kleinen Eifelorte nach dem Ausbruch abgeriegelt, Quarantänebereiche eingerichtet und ein Impfprogramm gestartet. Der Dermatologe Professor Günter Stüttgen, der sich als einer der wenigen Mediziner dieser Zeit mit der Krankheit auskannte, wurde in die Eifel entsandt, begleitet von dem jungen Arzt Constantin Orfanos, der sich bereiterklärt hatte, trotz der tödlichen Gefahr seinen Doktorvater zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund erzählt Steffen Kopetzky seinen teils fiktiven Roman Monschau - und darin eine Liebe, die sich zu Zeiten einer drohenden Pandemie abspielte.

“Die Pocken hatten irgendwann die Pest als die tödlichste Infektionskrankheit der Menschheit überholt und weit hinter sich gelassen. Weil sie so hochansteckend waren und immer wieder überall ausbrechen konnten, zählte man Kinder erst dann zur Familie, wenn sie die Pocken überstanden hatten.“

In Kopetzkys Roman treffen verschiedene Handlungsstränge aufeinander: Da ist natürlich zum einen die Bekämpfung der drohenden Seuchengefahr, zum anderen aber auch verschiedene Fäden, die sich den Ereignissen und Verbrechen des noch nicht allzu lange zurückliegenden Zweiten Weltkriegs widmen. Einen weiteren wichtigen Handlungsstrang bildet die Liebegeschichte zwischen Vera Rither, der jungen Erbin des beteiligten Werkes, und dem jungen Assistenzarzt Nikos Spyridakis. Kopetzky nannte einige seiner beteiligten Personen und Ortschaften bei ihrem richtigen Namen, andere wurden – wenngleich ähnlich klingend – umbenannt, was einer ehemaligen Eifel-Einwohnerin ein wenig ungewohnt und fremd vorkommt. Da hier aber nicht nur schmeichelhafte Dinge erzählt werden und möglicherweise ein juristisches Nachspiel gedroht hätte, wurden diese Tarnungen vermutlich benötigt. Der Autor schildert dann auch detailliert und genau die Ereignisse, die damals die Menschen bewegten: Im Fernsehen lief der Straßenfeger Das Haltstuch (und der Kabarettist Wolfgang Neuss sollte sich viele Feinde damit schaffen, indem er vorzeitig den Täter verriet), das Rheinland und damit natürlich auch die Eifel bereiteten sich auf den Karneval vor, und alle wollten eigentlich nur eines: Das Regime des Dritten Reiches vergessen, sich einer neuen, glänzenden Zukunft widmen - und natürlich tanzen, tanzen, tanzen.

Kopetzky startet seinen Roman strukturiert und stimmig: Er berichtet über die geschichtlichen Vorgaben, abschnittsweise über weitere Tragödien, die sich zeitgleich in Deutschland ereigneten und über die Bewältigungsstrategien, die sich so mancher zurechtgelegt hatte, um seine Kriegsvergangenheit zu verarbeiten oder auch zu vertuschen. Störend sind hier manchmal die sehr verschachtelte Sprache des Autors und seine gelegentlich dramatische und gestelzte Ausdrucksweise. Mich überfielen auch immer wieder Zweifel, ob in der Eifel tatsächlich die eigenartige, von Kopetzky zitierte Mundart gesprochen wird. Witzig fand ich dagegen, dass auch den „Troublemakern“ der Eifel eine eigene kleine Rolle zugedacht wird. Historisch interessant dürfte das Buch aber insbesondere für die Leser sein, die vom damaligen Ausbruch der Pocken bisher noch nichts wussten. Wer sich mit dieser Geschichte bereits befasst hat oder sie möglicherweise am eigenen Leib erfahren musste, der liest hier nicht viel Neues. Das mag aber auch daran liegen, dass irgendwann die Liebegeschichte zwischen Vera Rither und Nikos Spyridakis (für meinen Geschmack ein bisschen zu dominant) in den Vordergrund drängt. Stimmig, aber zeitgleich auch sehr zurückhaltend erzählt, spiegelt sie aber auch ein schönes Bild dieser Zeit wieder, in der sich die jungen Leute, die aneinander interessiert waren, bei den ersten Treffen noch siezten und verschiedene Hemd- und Blusenkragen durchgeschwitzt wurden, ehe der erste, zärtliche, kleine Kuss ausgetauscht wurde. Schön beschrieben ist auch die Möglichkeit des Nachrichtenaustauschs, die sich die beiden Verliebten innerhalb der Quarantäne ausdachten und die wieder einmal zeigt, dass es auch Zeiten gab, wo Menschen ohne Whatsapp, SMS oder sogar ohne das heutzutage schon altmodisch anmutende Telefon auskommen mussten und konnten.

Fazit:

Steffen Kopetzky hat einen lesenwerten und glaubhaften Roman über die Liebe zu Zeiten der Pocken verfasst, wobei für meinen Geschmack schon etwas mehr über die historischen Entwicklungen hätte erzählt werden können. Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass einige Passagen noch einmal kritisch überlesen und allzu lange Schachtelsätze zugunsten von leserfreundlichen und weniger dramatischen und steifen Formulierungen ausgetauscht worden wären. Störend war auch gelegentlich die allzu symbolische Beschreibung einiger Personen. Das nahm dem gut gemachten Roman hin und wieder einiges an Schwung – einiges wirkte auch einfach zu altmodisch. Dennoch bleibt unterm Strich ein spannendes und gut erzähltes Buch, das die oft verschneite und gerne nass-kalt-grüne Eifel, in der ja eigentlich sonst nie etwas passiert, einmal in einem anderen Licht zeigt.

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