Eine emotionale, vielschichtige Familiengeschichte
Anfang 1940 kommt der Schrecken des Nationalsozialismus auch in Frankreich an. Zehntausende Jüdinnen und Juden werden deportiert. Darunter sind auch Sarah und David. In ihrer Not bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihren neugeborenen Sohn einem Gleisarbeiter in die Hand zu drücken, in der Hoffnung, Samuel so das Leben zu retten. Doch was folgt nach dem Krieg?
„Ein gewaltiges Krachen erschüttert die Schranktür. Dann ein zweites und drittes, und schwere schwarze Stiefel durchbrechen die Tür ihres Verstecks.“
Jean-Luc und Charlotte haben sich mit ihrem Sohn Sam in Kalifornien ein neues Leben aufgebaut. Der 24. Juni 1953 ist jedoch ein Tag, der alles verändern soll: Zwei Männer stehen vor der Tür und eröffnen, dass sie mit den französischen Behörden zusammenarbeiten. Sie beschuldigen Jean-Luc der Kindesentführung, und auf einmal müssen sich Jean-Luc und Charlotte der Vergangenheit stellen, die sie so lange zu verdrängen versucht haben.
Im Jahr 1944 arbeitet Jean-Luc als Gleisarbeiter und ist gezwungen, in Drancy Gleise zu warten. Hier werden französische Jüdinnen und Juden in einem Durchgangslager zusammengepfercht, um sie per Viehwaggons nach Auschwitz zu verlegen. Jean-Luc ist angewidert vom Verhalten der Deutschen, die von den Franzosen verächtlich „Boches“ genannt werden. Als er mitbekommt, wie die Gefangenen in die Waggons gedrängt werden, stolpert eine Jüdin auf ihn zu und drückt ihm einen Säugling in die Hand. Nun liegt es an Jean-Luc und seiner frischen Liebe Charlotte, den kleinen Samuel aus Frankreich herauszubringen.
Sarah hat nur diesen einen Ausweg gesehen. Sie weiß: Hätte sie Samuel nicht in die Hände des fremden Mannes gegeben, wäre er im Konzentrationslager getötet worden. Allein der Gedanke, ihren Sohn eines Tages wieder in die Arme zu schließen, lässt sie den Schrecken in Auschwitz durchstehen. Doch wird sie Samuel wiedersehen ..?
Was bedeutet Familie?
Zwar handelt es sich um eine fiktive Geschichte, doch macht sie einem klar, wie viele Millionen Einzelschicksale sich hinter dem Holocaust verbergen, die jeweils ein eigenes Buch füllen könnten. Vor allem jüdische Kinder waren für die Nazis nicht zu gebrauchen, weshalb sie in Konzentrationslagern nicht lange überlebten. Daher versuchten viele jüdische Familien, ihre Kinder zu verstecken, aus den besetzten Gebieten zu schmuggeln oder sie irgendwo unterzubringen. Ein neuer Morgen für Samuel steht daher stellvertretend für all das Leid, das der Nationalsozialismus den Kindern angetan hat.
Man bewegt sich dabei nicht nur zwischen zwei Zeitebenen (1944 und 1953), sondern erlebt die Geschichte aus der Sicht von Jean-Luc, Charlotte, Sarah und Samuel. Daraus ergeben sich viele unterschiedliche Handlungsebenen, die unerlässlich für das Gesamtbild sind, jedoch eine Vollständigkeit vermissen lassen, die ein paar offene Fragen beantwortet hätten. Zwar wäre das Buch dadurch noch dicker geworden, dank des berührenden Schreibstils der Autorin wäre das aber zu bewältigen gewesen.
Ruth Druart spannt eine emotionale Geschichte um Samuel, der nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwächst, da Jean-Luc und Charlotte ihn nach der gelungenen Flucht und nach Ende des Krieges nicht den Behörden gemeldet haben. Dadurch drängt sich eine interessante Frage auf, ob sich die beiden der Kindesentführung schuldig gemacht haben, obwohl sie Samuel das Leben gerettet und ihn wie ihr eigenes Kind aufgezogen haben. Durch die authentische Zeichnung der Protagonisten nimmt man jeden Gedankengang ab, der aus dem Für und Wider resultiert.
Fazit
Zwar hat Ruth Druart kein perfektes Werk abgeliefert, da es dafür nicht rund genug ist. Dennoch hat sie sehr stimmig und authentisch ein Szenario geschaffen, das so oder so ähnlich nach Ende des Zweiten Weltkriegs passiert sein dürfte. Nach Beenden des Romans hat sich auf jeden Fall eine emotionale Erschöpfung eingestellt, die für ihn spricht.
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