Geisterwand

  • Berlin
  • Erschienen: Mai 2021
  • 0

- OT: Ghost Wall

- aus dem Englischen von Nicole Seifert

- HC, 160 Seiten

Geisterwand
Geisterwand
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Sandra Dickhaus
821001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2021

Ein Experiment und ein uraltes Ritual lassen die Grenzen des Wirklichen verschwimmen

Ein uraltes Ritual, mehrere Studenten, ein Archäologieprofessor und ein Vater, der zu allem bereit ist: Silvie, 17 Jahre alt, nimmt mit ihren Eltern an einem Experiment teil, bei dem man einen Sommer lang wie in der Eisenzeit lebt. Eigentlich ist es ihr Vater, der sein Hobby ausleben möchte, aber Mutter und Tochter trauen sich nicht, ihm zu widersprechen. Also machen sie mit, gehorchen ihm aufs Wort und leben in einem Moorwald in Northumberland in einem historisch anmutenden Rundhaus. Dabei essen sie gepflückte und gesammelte Kräuter, Wurzeln und Beeren, selbstgefangenen Fisch und Kaninchen, kochen am Feuer und tragen kratzige Tuniken. Doch irgendwann beginnt sich der Wind in die falsche Richtung zu drehen, und es muss ein Opfer gebracht werden - da sind sie sich einig ...

Das Leben unter dem Joch eines Patriarchen, der das Experiment bitterernst nimmt

Zu Beginn verfolgt man auf den ersten drei Seiten eine unheimliche Szene, in der eine Frau unter lautem Trommeln ausgezogen und kahlgeschoren wird, ein Seil um den Hals gelegt bekommt und vor lauter Angst erstarrt ist. Danach erlebt man die Ereignisse im Lager aus der Sicht Silvies. Kurze, aussagekräftige Sätze und eine genaue, auf den Punkt gebrachte Wortwahl schildern die einzelnen Tage, in denen die Gruppe wie vor langer Zeit ihren Alltag verbringt. Schnell wird klar, dass die Stimmung unterschwellig gedrückt ist, die Studenten das Experiment (im Gegensatz zu Silvies Vater) nicht wirklich ernst nehmen und die Atmosphäre aus Silvies Sicht sehr unter dem Zwang zu betrachten ist, unter dem sie und ihre Mutter stehen. Der Vater, ein dominanter Patriarch, duldet weder Widerspruch noch Auflehnung. Eigentlich ist er Busfahrer, liebt aber leidenschaftlich die Archäologie und meint, alles darüber zu wissen. Probleme oder schwierig auszuhaltende Situationen kompensiert er mit Gewalt - verbal und auch körperlich - gegenüber Tochter und Ehefrau. Beide leben in der ständigen Angst, ihm etwas mal nicht recht machen zu können. Das kann ein unpünktliches Essen sein, ein nacktes Baden im Fluss, ein falscher Blick. Diese Unterdrückung wird fast körperlich spürbar. Klar ist schnell: Dem Vater sollte man niemals seinen Willen verweigern.

 Silvie kann sich somit absolut nicht frei entfalten, muss ihren Kontakt zu den jungen Studenten einschränken und sich seine Schläge mit dem Gürtel gefallen lassen. Die dauernde Überwachung nagt an den Nerven. Durchzogen ist das Ganze von einer Stimmung ohne Liebe, Zärtlichkeit und Akzeptanz. Allein die Studentin Molly zeigt Silvie, dass man nicht - wie alle anderen - wegsehen, sondern stattdessen Nähe, Geduld und Interesse zeigen sollte. Silvie genießt die Zeit mit Molly, mit der sie gemeinsam auf Beerensuche geht, und findet immer mehr Zutrauen. Als Molly sie aber auf die sichtbaren Spuren der körperlichen Züchtigung durch den Vater anspricht, möchte sie sich nicht eröffnen. Stattdessen träumt sie von einer Freundschaft oder Beziehung mit Molly.

Ein gewaltiger Strudel aus Macht, Gewalt und Dominanz

Immer mehr wird man in den Strudel von Gewalt, Dominanz und Dramatik hineingezogen, ohne wirklich zu wissen, wo das Ganze endet. Doch irgendwie spürt man: Es kann nichts Gutes sein, es muss etwas passieren. Man wartet auf die entscheidende Tragödie, das Aufreißen der anhaltenden Spannung. Durchbrochen wird diese gelegentlich durch Momente der Ruhe, in der Silvie sich in ausführlichen Naturbeobachtungen ergeht.

Fazit

Ein Roman, der es in sich hat - kurzweilig, aber eindringlich und voller Sprachgewalt. Es geht um Themen wie Gewalt, Machtmissbrauch, Zivilcourage und Mut. Nach und nach fallen die Masken der einzelnen Figuren und es wird deutlich, dass sich eine Situation mit solch einer Dynamik verselbstständigen kann, dass man selbst unweigerlich mit hineingerissen wird.

Geisterwand

Sarah Moss, Berlin

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