Daheim

- HC, 192 Seiten

Daheim
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Monika Wenger
851001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2021

Lebenskrise und Neuanfang

Die Erzählerin, Ende vierzig, ist von einer Stadt im Westen ans Meer im Osten gezogen. Hier will sie vorerst bleiben, aber keine Wurzeln schlagen. Sie lässt ihr Leben Revue passieren und beginnt ihre Rückschau mit einem Ereignis, welches dreißig Jahre zurückliegt: Als «zersägte Jungfrau» sollte sie einst zusammen mit einem Zauberer auf ein Kreuzfahrtschiff. Die Kiste, in die sie zur Probe eingestiegen ist, hat damals etwas in ihr ausgelöst. Dieser innerlichen Veränderung spürt sie nun nach all den Jahren nach ...

«Seitdem ich denken kann, habe ich die Fähigkeit, mich in mich selbst zurückzuziehen, eine Schnecke, die in ihr Haus kriecht, eines dieser Spinnentiere, das sich zu einer Kugel zusammenrollt.»

Zum ersten Mal in ihrem Leben lebt die Erzählerin allein für sich in einem Haus. Nach der Trennung von ihrem Mann Otis ist sie aus der Stadt aufs Land gezogen. Die gemeinsame Tochter Ann ist flügge und irgendwo auf dem Nordmeer unterwegs. Die Ablösung von Exmann und Tochter hat noch nicht vollständig stattgefunden; noch drehen sich ihre Gedanken allzu oft um sie.

«Ich habe manchmal den Eindruck gehabt, dass Otis’ Erinnerungsvermögen so groß ist, weil es Macht mit sich bringt, Dinge über andere Menschen zu wissen.»

Vorerst sind Briefe an Otis mit Informationen zu ihrem neuen Leben wichtig für sie. Noch hat sie zu wenig Selbstvertrauen, ist stets in Gedanken bei ihm. Auch hätte sie gerne intensiveren Kontakt zu ihrer Tochter, nimmt sich aber stark zurück. Ann schickt zeitweise nur Koordinaten – keine näheren Angaben zum Leben, das sie führt: für die Mutter eine Qual. Trotzdem nimmt sie kleine Veränderungen an sich selber wahr; nimmt wahr, dass sie sich löst von den beiden wichtigsten Menschen und mehr zu sich selber findet.

Neuer Ort – neue Menschen

Als Mädchen für alles arbeitet sie bei ihrem Bruder Sascha in einer Kneipe. Sascha hat sich in eine Jugendliche verliebt und überlässt seiner Schwester die ganze Arbeit. Einzige Abwechslung in den Alltag bringt die Nachbarin Mimi. Diese ist Künstlerin, ein Gefühlsmensch, und nimmt die Erzählerin mit zum Schwimmen, zum Radfahren und zeigt ihr das Sich-treiben-lassen und das Genießen.

Sie macht ihren wortkargen Bruder Ardil mit der Erzählerin bekannt. Diese Bekanntschaft scheint die Ablösung vom alten Leben voranzutreiben. Die Vorstellung, hier auf dem Land am Meer zu bleiben, nimmt Formen an ...

Judith Hermann erzählt die Geschichte der Ablösung und des Neubeginns in knappen, präzisen Sätzen. Die notwendige Rückbesinnung der Erzählerin schafft erst die Basis für den Neuanfang. Noch zögert die Frau in diesem Roman, glaubt nicht an das erneute Wurzelnschlagen. Doch mit dem innerlichen Ankommen am neuen Ort wird sie stärker und lässt nicht mehr alles einfach passieren; sie erhält als Mensch Form und Struktur. Das ist unglaublich stark und beeindruckend erzählt. Gerade die nüchternen Sätze verstärken den Eindruck des Geschehens: Die Andeutungen, die nicht ganz fertig beschriebenen Ereignisse, lassen viel Raum für wichtige Kleinigkeiten und tragen zur Wirkung des Geschilderten bei.

Fazit

Eine Frau blickt auf ihr bisheriges Leben zurück und kommt langsam in ihrer Gegenwart an. Direkt und sparsam, doch intensiv erzählt Judith Hermann von dieser Frau und ihrem Leben, wo sie endlich ihren Platz gefunden zu haben scheint. Gerade weil die Autorin ganz präzise, ohne viel Aufhebens formuliert, bleibt viel Raum für das eigentliche, unterschwellige Geschehen.

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