Mitreißend und berührend
Nach dem Tod ihrer Mutter bleibt der vierjährigen Beth Harmon nur die Unterbringung in einem Waisenhaus. Strenge Regeln und Beruhigungsmittel bestimmen fortan ihren Alltag. Erst als sie den etwas störrischen Hausmeister Mr. Shaibel kennenlernt, soll ihr Leben eine entscheidende Wendung nehmen ...
„Ihr Verstand leuchtete, und ihre Seele sang im süßen Takt der Schachzüge“
Im Keller des Hauses spielt Mr. Shaibel Schach - allein. Als Beth ihn einmal dabei beobachtet, ist sie sofort fasziniert. Sie möchte das Spiel unbedingt lernen. Nach anfänglichem Zögern willigt Shaibel ein. Er ahnt nicht, welch unglaubliches Talent in dem jungen Mädchen schlummert. Beth lernt schnell und es dauert nicht lange, bis Mr. Shaibel gegen sie chancenlos ist. Es beginnt ein steter, doch keineswegs unbeschwerlicher Aufstieg zu einer professionellen Schachspielerin.
Das Damengambit erschien bereits Anfang der 80er Jahre. Der immense Erfolg der gleichnamigen Netflix-Serie verhilft dem Roman nun zu neuer Aufmerksamkeit. Dabei ist dies nicht die erste Verfilmung eines Buches von Walter Tevis: Der Mann, der vom Himmel fiel (mit David Bowie), Haie der Großstadt und Die Farbe des Geldes (beide mit Paul Newman) basieren ebenfalls auf Romanen des 1984 im Alter von 56 Jahren verstorbenen amerikanischen Schriftstellers.
„Seit Jahren flirtete sie mit dem Alkohol. Es war Zeit, die Beziehung zu vertiefen.“
Erzählt wird aus der Perspektive von Beth Harmon. Sofort wird klar, dass Beth kein gewöhnliches Mädchen ihres Alters ist und etwas Besonderes an sich hat. Mit ihrem eigenwilligen Charakter und den besonderen Lebensumständen nimmt sie den Leser von der ersten Seite gefangen. Beth wirkt stets fehl am Platz in einer Welt, in der sie nun alleine zurechtkommen muss. Enge Beziehungen zu ihren Mitmenschen kann sie nur schwerlich aufbauen. Nur das Schachspiel gibt ihr Halt, Sicherheit und Lebensmut. Angetrieben vom Ehrgeiz, internationaler Profi zu werden, geht sie unbeirrt ihren eigenen Weg. Immer mehr Erfolge stellen sich ein - doch es soll auch immer wieder Rückschläge geben. Denn von den Beruhigungsmitteln kommt sie nicht ganz los; und auch der Alkohol setzt ihr bald zu. So erleben wir als Leser ein ums andere Mal ein Wechselbad der Gefühle.
Tevis erzählt geradlinig und kompakt. Er schweift nicht ab, schmückt Passagen nie unnötig aus. Und doch gelingt ihm ein unglaublich lebendiger Roman voller Emotionalität und einer durchweg dichten Atmosphäre. Natürlich steht seine Hauptfigur im Vordergrund. Doch gesellen sich viele weitere markante und greifbare Figuren hinzu, die Beth auf ihrem Lebensweg begleiten.
Und dann ist da natürlich das Schachspiel. Tevis - früher selber aktiver Spieler - schafft es erstaunlich gut, viele informative Details und taktische Überlegungen von Beth auch über längere Passagen kurzweilig und spannend in die Geschichte einzuarbeiten. Wenn sich das konzentrierte Spiel der Kontrahenten auf dem Brett entfaltet, braucht es daher nicht unbedingt Schachkenntnisse, um hier der besonderen Faszination zu erliegen.
Fazit
Walter Tevis hat einen mitreißenden und berührenden Mix aus Sozialdrama, Coming-of-Age-Geschichte und fiktivem Sportlerportrait entworfen. Das Damengambit fesselt auch heute noch von Beginn an und lässt den Leser - Seite um Seite, Zug um Zug - mit einer faszinierenden und einnehmenden Hauptfigur mitfiebern, -leiden, -freuen, -trauern und -jubeln. Unbedingt lesenswert!
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