Zwischen Zuversicht und Hoffnungslosigkeit
Ein schielender Junge ist täglich den willkürlichen physischen und psychischen Misshandlungen einiger Mitschüler ausgesetzt. Er erträgt diese still, ohne sich jemandem anzuvertrauen. Als er eines Tages eine Briefnachricht erhält, vermutet er eine neue Gemeinheit seiner Peiniger. Doch es soll anders kommen.
Die Nachricht stammt von seiner Schulkameradin Kojima. Auch sie wird in der Schule schikaniert, wenngleich weniger brutal und weniger häufig. Beide nähern sich an - aber vorsichtig und unsicher, weil sie Freundschaft einfach nicht kennen. Finden sie gemeinsam einen Weg aus ihrer ausweglosen Situation ..?
„Egal, ob sie mich traten, schlugen oder zu Boden stießen, jeder Stoß, Schlag oder Tritt war so dosiert, dass er keine Spuren hinterließ.“
Heaven von Mieko Kawakami ist in Japan bereits 2009 erschienen und findet nach ihrem Bestsellerfolg Brüste und Eier nun auch den Weg zu uns. Und ihr nur gut 190 Seiten fassender Roman hat mich direkt nach den ersten Absätzen gepackt und nicht mehr losgelassen.
Der Roman spielt in den 90er Jahren, als Japan auf dem Weg in eine Wirtschaftskrise war. Doch all das hat in Heaven keine bedeutende Rolle. Selbst das familiäre Umfeld der Jugendlichen findet nur kurz Erwähnung und offenbart, dass auch dieses kaum von überschwänglicher Liebe und Zuneigung geprägt ist. Aber es ist natürlich auch eine Zeit, in der Social Media auf Smartphones noch nicht die Kommunikation der Jugend bestimmt haben.
Interessant ist, dass die in Osaka geborene Schriftstellerin ihrer erzählenden Hauptfigur keinen Namen gibt - beinahe so, als möchte sie einen Platzhalter schaffen, der für die unzähligen Opfer von Mobbing in unserer Gesellschaft steht.
„Vielleicht, dachte ich, ist alles vorbestimmt. Vielleicht würde auch ich mir irgendwann das Leben nehmen, vielleicht würde ich umgebracht, vielleicht war ich auch schon tot.“
Wenn uns Kawakami an den Qualen teilhaben lässt, ist es manchmal nur schwer zu ertragen. Immer tiefer werden wir in eine Lebenswelt gezogen, die zeigt, zu welchen Taten junge Menschen fähig sind und was diese bewirken. Kawakami lässt das nicht unreflektiert stehen und hinterfragt in einem Schlüsseldialog die Motivation der Täter.
Die Autorin erzählt mit teils messerscharfen Worten, schafft im Gegenzug wohltuende emotionale Bilder. Wenn der Junge und Kojima zusammen Zeit verbringen, wähnen auch wir uns für einen Moment in Sicherheit, wissend, dass diese nicht von Dauer sein wird. Und so wanken wir zwischen Zuversicht und Hoffnungslosigkeit durch den Roman.
Fazit
Heaven ist ein Buch, in das man hineingreifen möchte, um zwei geschundene Seelen einer unbarmherzigen Welt zu entreißen. Gleichzeitig ist es ein Buch, das man vorsichtig an sich drücken mag, um die fragilen Momente von Nähe und Wärme zu beschützen, bevor auch diese im stillen Schmerz erkalten. Mieko Kawakami lässt uns schonungslos am Leben zweier Menschen teilhaben, die vereint sind in den Erniedrigungen und Qualen, die sie ertragen müssen und die gemeinsam versuchen, einen Sinn in ihrem Leben zu finden.
Deine Meinung zu »Heaven«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!