Ein Familienschicksal in Vietnam
Huong wächst bei ihrer Großmutter Dieu Lan in Hanoi auf. Jetzt ist Dieu Lan tot, und Huong bleiben nur Erinnerungen an sie und die Familiengeschichte, die ihr die Großmutter erzählt hat, die sie aber über lange Zeit auch gemeinsam erlebt haben.
Nguyen Phan Que Mai
Die Autorin wurde 1973 in einem Dorf im Norden von Vietnam geboren, zog aber als 6-Jährige mit ihrer Familie in den Süden und wuchs im Mekong-Delta auf. 1993 kam sie durch ein Stipendium nach Australien, wo sie studierte. Heute lebt sie in Jakarta. Obwohl sie schon zahlreiche Bücher in Prosa, Lyrik und zu Sachthemen veröffentlicht hat, ist Der Gesang der Berge ihr erstes auf Englisch verfasstes. Ihre Familie durchlitt die Hungersnot, die Landreform und den Krieg, sie selbst hat die Nachwirkungen des Vietnamkrieges erlebt. Aus allen diesen Erfahrungen hat sie ein Familienepos gemacht, das zwar fiktiv ist, aber dennoch auf persönlichen Erfahrungen beruht und alle Probleme der jüngeren Vergangenheit Vietnams deutlich zeigt.
Zwei Frauen erzählen
Huong und Dieu Lan erzählen die Geschichte ihrer Familie auf zwei Zeitebenen: In Rückblicken begleiten wir die beiden Frauen, die abwechselnd mehrere Jahrzehnte Erlebtes wiedergeben. Dieu Lan setzt 1930 ein, als ein Wahrsager der Zehnjährigen ein schweres Leben prophezeit, was sich dann leider auch bewahrheitet: Sie muss mit der Besatzung der Japaner und dem gewaltsamen Tod des Vaters zurechtkommen, mit der großen Hungernot, dem 2. Weltkrieg und der Landreform, die ihr das Zuhause nimmt und sie von ihren Kindern trennt. Den Vietnamkrieg erlebt sie gemeinsam mit Enkelin Huong, die sich nun selbst an diese grausame Zeit erinnert. Mit ihr erleben wir die Auswirkungen des Krieges auf ihre Familie, die Hoffnung auf Glück und Frieden und das Leben im Vietnam von heute.
Pauschale Figuren in historischer Kulisse
Die Vergangenheit des Küstenstaates in Südostasien ist geprägt von Gewalt und Fremdherrschaft. Franzosen, Japaner, die Amerikaner im Vietnamkrieg und die Kommunisten danach haben die Geschichte bestimmt. Um alle Aspekte zu beleuchten, all das in ein Familienepos packen zu können, sind weniger individuelle Charaktere gefragt, als vielmehr Figuren, die pauschal alle Typen wiedergeben: der wohlhabende Bauer, dessen Familie die Landreform überstehen muss; die Mutter, die versucht, ihre Kinder durchzubringen; die Familie, die den Vietnamkrieg erlebt und unter den Folgen leidet. Diese Figuren haben persönliche Charakterzüge, sind aber zeitgleich so pauschalisiert, das sie die Bevölkerung abbilden und den historischen Kontext vermitteln.
Ein schwacher Stil verringert das Lesevergnügen
Die Geschichte, die Nguyen Phan Que Mai erzählt, ist spannend zu lesen und entführt uns emotional fordernd und atmosphärisch dicht erzählt in das Leben der Familie Tran, das eng verknüpft ist mit dem Schicksal Vietnams. Doch der Schreibstil hat seine Tücken – vielleicht, weil die Autorin bis jetzt in ihren Büchern nur den blumigen Stil ihrer Heimat benutzte, vielleicht, weil die Übersetzung nicht ganz einfach war. Neben zahlreichen verbliebenen Sätzen auf Vietnamesisch, die zu Erklärung nur sehr holprig ins Deutsche übertragen wurden, neigen die Figuren dazu, in Schriftsprache zu sprechen, die mehr als realitätsfern erscheint:
„Ich war erschöpft. Glücklicherweise rettete mich der Frühling. Blumen prahlten mit ihren leuchtenden Farben. Das Sonnenlicht schimmerte golden wie Honig. Die Luft roch nach Leben statt nach Sprengstoff. Vögel – dieselbe Art wie die, die dein Vater für die geschnitzt hat – sangen“.
Hier zeigt sich auch schon der zweite Schwachpunkt: Allzu oft verfällt die Autorin ins Phrasenhafte, Kitschige. Wenn sie z.B. die Glühwürmchen beschreibt oder die Begegnungen von Huong mit ihrem Freund Tâm, kommt man sich manchmal wie in einem billigen Liebesroman vor. Das wird der ansonsten grandiosen Geschichte nicht gerecht und nimmt viel Lesevergnügen aus dem Roman.
Ende gut, alles gut
Das leicht Triviale und Kitschige setzt sich zum Ende der Geschichte leider auch im Inhalt fort. Die doch sehr unrealistische Wendung beim Treffen mit Trâns Familie lässt sich gerade noch ertragen, die darauf folgende Lösung allerdings hätte man anders besser, dann vielleicht jedoch nicht so positiv angehaucht hinbekommen können. So aber bleibt der Geschmack von billiger Liebesgeschichte zurück, der dem ansonsten gelungenem Roman nicht gerecht wird.
Fazit
Der Gesang der Berge ist ein grandioses Familienepos mit der Geschichte Vietnams als Hintergrund, das allerdings ein wenig am gewöhnungsbedürftigen, manchmal leicht kitschigen Schreibstil krankt. Dennoch ist der Roman fesselnd und die Erlebnisse der Familie Tran ebenso wirklichkeitsnah wie tragisch.
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