Ein tragischer Autounfall, ein verurteilter Täter und eine unausgesprochene Wahrheit
Ein schreckliches Unglück erschüttert das Leben der Menschen in der Kleinstadt Mullinmore. An einem wunderschönen Sommertag in den Achtzigerjahren fährt eine Clique mit sechs jungen Leuten an den Strand. Sie wollen ein bisschen Zerstreuung erleben, denn am nächsten Tag soll ein Paar aus ihrer Mitte vor den Altar treten. Auf dem Heimweg geschieht ein tragischer Autounfall und besagtes Paar und eine der Brautjungfern sterben, die anderen Insassen überleben, teils schwer verletzt. Martin, der Sohn des heimischen Arztes, dem das Auto gehört, und Connor, der sonst nicht viel mit den Freunden zu tun hat, kommen mit kleineren Verwundungen davon. Doch Connor hat den Unfall scheinbar verursacht und dafür wird er verurteilt, seine Eltern schicken den Jugendlichen nach England. Schwer traumatisiert bricht er den Kontakt zu seiner Familie, seinem Heimatort ab. So bekommt er auch nicht mit, dass Martin seine Schwester heiratet. Zwanzig Jahre später lässt eine schicksalhafte Begegnung alte Wunden aufbrechen und die Karten werden wieder neu gemischt.
Der Druck gesellschaftlicher Normen ist körperlich greifbar
In der Handlung geht es um Schuld, Vergebung, Ausgrenzung, tiefe Mutlosigkeit und das Gefühl, nicht so sein zu dürfen, wie man wirklich ist. Der Druck gesellschaftlicher Normen ist in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt, fast körperlich greifbar. Psychologisch fein aufgearbeitet geht der Autor hier im Laufe des Plots in die Tiefe und überrascht dabei. Als LeserIn wird man so manches Mal wirklich überrascht, denn die Wendungen meistert der Autor geschickt.
Connor ist eher ein Antiheld
Connor, eine der Hauptfiguren, eher ein Antiheld, nimmt – und das zurecht- viel Raum im Plot ein. Seine Präsenz ist allgegenwärtig, warum, erfährt man im Laufe der Handlung. Ihm gegenüber steht Martin, der sich mitnichten zurücknimmt, sondern arrogant und selbstbewusst sein Recht einfordert – auch wenn ihn niemand so wirklich leiden kann. Immer tiefer führt der Erzähler in die Abgründe der menschlichen Seele, nur um die Wahrheit zu verschleiern. Es gibt keine langatmigen Passagen, jeder Satz, jeder Abschnitt hat seine Berechtigung im Geschehen. Die bildlich-anspruchsvollen Formulierungen zeigen Ereignisse, Orte und charakterisieren die vielschichtigen Figuren.
Graham Nortons dritter Roman ist fulminant aufgebaut, die Geschehnisse haben genau die richtige Tiefe und lassen so manches Unheil hindurch schimmern. Darin verwoben sind natürlich die Protagonisten, die Norton in all ihren, auch abscheulichen, Facetten zeichnet.
Fazit
Hier bietet sich ein Plot, der es in sich hat. Und gerade, wenn man meint, man hat das Ganze durchschaut, wird man eines Besseren belehrt. Ein tiefsinniger Roman, der nach dem Lesen noch lange nachhallt.
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