Eine unglaubliche Liebesgeschichte durch Krieg und Leid geprägt
Daniela Ohms führt uns im Prolog in eine kleinbäuerliche Familie ein, die den frühen Verlust der Mutter ertragen muss. Der Schmerz, den der Vater empfindet, der nun mit zehn Kindern ohne Frau und Stütze weiterleben muss, ist fast körperlich zu spüren. Von der übrigen Familie unbeachtet, erfährt die jüngste Tochter Mathilda nur durch ihren Bruder Joseph Zuwendung und Trost. Der Titel des Romans Winterhonig bringt den Leser in eine Welt der Sehnsucht nach geborgenem Dasein und liebevoller Umgebung. Das eben fehlt Mathilda durch den Tod ihrer Mutter. So wabert der Honig durch den Roman und in bedrängten, beängstigenden Situationen wird das heilende Honigglas unter dem Bett hervorgezogen. Derer sind nicht wenige.
Krieg und ein Geheimnis
Der Vater, der den bäuerlichen Betrieb zunehmend nur mit Hilfe seiner Töchter aufrechterhalten kann, da beide Söhne für den Krieg eingezogen wurden, führt ein strenges, unbarmherziges Regime. In dieser Welt der seelischen Kälte ist Mathilda besonders empfänglich für die Fürsorge und Aufmerksamkeit, die sie durch Karl, dem Stallknecht vom nahen Gutshaus erfährt. Bevor auch er eingezogen wird, übergibt er ihr das Glas mit dem Winterhonig, als Trost für schwere Stunden.
Die Beziehung von Karl und Mathilda entwickelt sich von anfangs kindlicher Anziehung zu einer ernstzunehmenden Liebe. Diese Liebe muss Trennungen, heimliche Treffen unter Gefahr, Missverständnisse und ein Geheimnis um die Person des Karl aushalten. Der Briefwechsel zwischen beiden offenbaren das Grauen des Krieges, das Karl täglich erfahren muss und andererseits das mühselige Aufrechterhalten von scheinbarer Normalität in der Heimat.
Offenbarung
Je weiter der Krieg auf sein Ende zurast, um so löchriger wird das Gespinst der Tarnung, das Karl um sich gesponnen hat, um seine Identität zu verbergen. Als Truppführer einer Reitereinheit kommt er angesichts einer Beförderung nicht umhin, sich dem Kommandeur zur offenbaren.
Auch in der Heimat bekommt Mathilda einen Brief von Karl in die Hände, der die ganze Geschichte seiner Herkunft erklärt, der allerdings erst nach seinem Tod von ihr gelesen werden sollte. Der Spannungsbogen hat sich bis zu diesem Brief aufrechterhalten.
Das Ende und ein Epilog
Das Chaos des Frontverlaufs, eine erneute Begegnung mit Mathilda und der Verrat haben viele Irrungen in beide Leben gebracht, doch etliche Umwege und Zufälle lassen diese Liebesgeschichte auf ein überraschendes Ende zugehen.
Mit seelischen und körperlichen Verletzungen aus dieser Zeit werden sie weiterleben müssen. Karl hat mit dem inneren Frieden Probleme und es zerreißt ihn, wenn er folgende Sätze ausspricht:
… „Weißt du, wie schwer das ist? Wenn man nach so langer Zeit nach Hause kommt? Wenn man nur Schrecken, Angst und Grausamkeit kennt und dann plötzlich ein normales Leben führen soll?“
Im Epilog wird der weitere Lebensweg der beiden skizziert, der von der Suche nach dem angesprochenen „normalen Leben“ geprägt ist.
Autobiografische Familiengeschichte
Daniela Ohms, die 1978 in der beschriebenen Gegend geboren und auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, beschreibt hier in Teilen das Leben ihrer Großmutter. Aus der genauen Kenntnis der regionalen und religiösen Gegebenheiten hat sie wunderbar erfasst, wie befangen die bäuerliche Kultur zu dieser Zeit noch gewesen sein muss. Harte Konsequenzen haben bspw. die Töchter erfahren müssen, die von den traditionellen Vorstellungen abgewichen sind. Ihre Figurenzeichnung ist lebendig und mit einem Gespür für dramatische Wendungen in ihrem Verhalten. Man sieht die Menschen vor sich und leidet und hofft mit ihnen. Karl und Mathilda wirken allerdings oftmals schablonenhaft in ihren Gesten. Ihre Charakterdarstellung wirkt etwas zu positiv und erscheint mir nicht differenziert genug.
In einem Nachwort erklärt die Autorin, die Literaturwissenschaften, Geschichte und Psychologie studiert hat, die Hintergründe und die Recherchen, die zu diesem Roman geführt haben. Dabei unterscheidet sie zwischen Fiktion, historisch belegbaren Ereignissen und ihrer eigenen Familiengeschichte. Das macht den Roman auch deshalb interessant, weil während des Lesens oft die Frage auftaucht, inwieweit das eine „wahre Geschichte“ sein könnte.
Daniela Ohms hat dem Roman nicht nur ein Prolog und einen Epilog gegeben, sie hat den Leser auch durch die Angaben von Zeit und Ort, vor jedem Kapitel, durch das Buch geleitet. So war der Erzählfluss zwar unterbrochen, aber die Spannung deutlich erhöht.
Fazit
Beim Lesen dieses Buches fühlt man sich wie in einem Galopp durch die Zeiten, um stets neue Ebenen oder weitere Entdeckungen zu machen. Der Vergleich passt, spielen Pferde doch in diesem Buch eine große Rolle.
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