Großartig geschrieben und beeindruckend
Irrtum ausgeschlossen
Vincent Morel erhält eine vernichtende Diagnose: Eine seltene Augenkrankheit wird ihn innerhalb weniger Wochen erblinden lassen. Das ist ein gewaltiger Schock für den sportlichen jungen Mann, der hauptberuflich als Tennislehrer tätig ist. Die Hoffnung, dass sich die Diagnose als Irrtum herausstellen würde, erweist sich, nach dem Einholen einer Zweitmeinung, als falsch.
«Ärzte haben die Fähigkeit, ihre Patienten mit Fachausdrücken zu erschlagen, und das Exemplar da hat diese Kunst perfektioniert.» (Quelle: Roman)
Auf der Suche
Gefangen in seiner Fassungslosigkeit stösst er in einer ersten Reaktion sämtlichen ihm nahestehenden Personen vor den Kopf – auch seiner Freundin Emilie. Wütend und bis ins Mark getroffen, reist er kopflos kreuz und quer von Ort zu Ort. Bilder aus der Vergangenheit vermischen sich mit der Angst vor der Zukunft. Verwirrt und deprimiert sucht er das Haus seines verstorbenen Grossvaters auf. Hier findet er endlich etwas Ruhe. Die Erinnerung an seine Kindheit, an den Ort, den er so liebt, vermittelt ihm Sicherheit. Er denkt liebevoll an die gemeinsame Gartenarbeit mit seinem Papagui, wie er seinen Grossvater nennt, zurück. Nun ist der Garten verwildert und nachdem sich Vincent etwas gefangen hat, beschliesst er, solange er noch etwas sehen kann, ihn wieder aus dem Dornröschenschlaf zu holen.
Karine Lambert ist es auf beeindruckende Art und Weise gelungen, die Erblindung von Vincent zu beschreiben. Die Darstellung der verschiedenen Stufen des Sehverlustes und das Wechselbad seiner Gefühle gehen unter die Haut. Die Geschichte beginnt mit Tempo – genau so, wie Vincent sich fühlt. Da sind seine ultraschnellen Gedankengänge genauso beschrieben, wie sie in seinem Kopf stattfinden. Mit den ständig sich verändernden Gefühlen werden die Sätze länger, die Geschwindigkeit wird gedrosselt, Ruhe kehrt ein. Das langsame Annehmen des Unausweichlichen zeichnet sich ab. Das ist bemerkenswert gut gelungen und nimmt die Leserschaft von Anfang an mit auf Vincents steinigem Weg.
Fazit
Die Geschichte beginnt mit klaren, prägnanten und hektisch kurzen Sätzen, die eindrücklich die zerrinnende Zeit unterstreichen, um dann länger, aber nicht weniger eindringlich zu werden. Das zeichnet diesen Roman von Karine Lambert aus. Einfühlsam beschreibt die Autorin Vincents Weg von der fatalen Diagnose zur Akzeptanz und bis hin zum Willen, sich auf ein anderes Leben einzulassen. Das ist grossartig geschrieben und beeindruckend.
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