Ein Garten über der Elbe

- HC, 384 Seiten

Ein Garten über der Elbe
Ein Garten über der Elbe
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Carola Krauße-Reim
801001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2022

Hier ist ein Garten der Protagonist

Marion Lagoda ist renommierte Gartenjounalistin und Autorin zahlreicher Sachbücher zum Thema Garten. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch in ihrem ersten Roman ein Garten und dessen Schöpferin eine große Rolle spielen.

Hedda und ihr Garten

1913 tritt die junge Hedda ihre Stelle als Obergärtnerin bei der Familie Clarenburg in Blankenese an. Sie soll ein riesiges Gelände neu konzipieren: ein Rosengarten nebst Wasserbecken, ein Amphitheater und eine neue Terrassierung sollen „dem Berg“ mit dem bereits bestehenden Park ein neues Ansehen verleihen. Als erste Obergärtnerin Deutschlands muss sich Hedda bei ihren männlichen Mitarbeitern mit viel Durchsetzungskraft Respekt verschaffen. Doch sie schafft es und findet nicht nur Anerkennung, sondern auch unverhoffte Liebe. Nach einigen Rückschlägen wird der neue Garten ein Riesenerfolg, doch mit der Machtübernahme verdüstern dunkle Wolken den Himmel: Clarenburgs und Hedda geraten als Juden immer mehr ins Visier der Nazis.

Historische Vorbilder und ein wenig Fiktion

Marion Lagoda hat sich sowohl im Plot als auch bei den Figuren an historischen Tatsachen bedient. Den „Garten über der Elbe“ gibt es tatsächlich! Der „Römische Garten“ in Blankenese war einst im Besitz der Familie Warburg, ist heute allerdings nur noch ein kleiner, versteckter und leicht vernachlässigter öffentlicher Park. Die Pracht und Weitläufigkeit zur Zeit seiner Entstehung ist nur noch zu erahnen. Auch Hedda hat ein historisches Vorbild: Else Hoffa, die erste weibliche Obergärtnerin Deutschlands und Architektin des „Römischen Gartens“, die leider völlig in Vergessenheit geraten ist. Doch ihre Tätigkeit bei der jüdischen Bankiersfamilie Warburg lässt sich noch gut rekonstruieren und so erschließt sich der Leserschaft nicht nur die unglaublich anstrengende Arbeit, die eine neue Gartengestaltung in diesem Ausmaß mit sich bringt, sondern auch die geschichtlichen Hintergründe vom Ersten Weltkrieg und der Judenverfolgung durch die Nazis. Fiktiv dagegen ist Heddas privates Leben, von dem es kaum Aufzeichnungen gibt. Wer allerdings als Frau im frühen 19. Jahrhundert eine solche Stellung erhält, kann nicht den herkömmlichen Frauen dieser Zeit entsprochen haben und so ist Lagodas Darstellung von Hedda als unabhängige und unkonventionelle Frau als durchaus wahre Aussage anzunehmen.

Zwei starke Protagonisten spielen die Hauptrollen

Hedda verkörpert die ganze Problematik der Frauen Anfang des 19. Jahrhunderts: wer nicht Hausfrau und Mutter sein will, hat es schwer! Hedda lässt sich als eine von sehr wenigen Frauen zur Gartenarchitektin ausbilden, erbt aber dennoch nicht die Gärtnerei ihres Vaters; als Frau muss sie doppelt so gut sein wie ihre männlichen Kollegen, um anerkannt zu werden und kann von Glück sprechen, dass ihr jemand eine so große Aufgabe zutraut, wie die Neuanlage des Clarenburgschen Parks.

Lagoda schafft es, die Charakterzüge dieser unabhängigen, frei denkenden und dennoch oft an ihre Grenzen stoßenden Frau zu zeigen. Vielleicht trägt sie manchmal ein wenig zu dick auf oder betont die benötigte Durchsetzungskraft etwas zu häufig, aber sie formt Hedda so, wie Else wohl gewesen sein mag: auf ihre Arbeit konzentriert, auf Konventionen pfeifend und freiwillige Sklavin des Gartens, der ihr ganzes Leben beherrscht. Damit macht die Autorin den Garten zum zweiten Protagonisten. Er fordert die Obergärtnerin und ihre Mitarbeiter, genauso wie die Familie Clarenburg, die sich in ihm vergnügt, von ihm in Kriegszeiten lebt, der aber auch immer zwischen ihr und Hedda als private Person steht.

Ein Lesevergnügen für Gärtner

Die wichtige Position des Gartens beherrscht das ganze Handeln im Buch. Immer wieder wird erklärt, welche Arbeiten anstehen; was im Detail gemacht wird; wie das Wetter Einfluss nimmt und welche Pflanzen wie und wo vorgesehen sind. Diese werden dann oft mit Namen, auch ihrem botanischen, genannt oder ihr Aussehen und Duft werden genauso beschrieben, wie Krankheiten, die sie befallen. Die Liebe der Autorin zu diesem Thema ist auf jeder Seite des Buches zu lesen Das dürfte für Gartenliebhaber noch ganz interessant sein, für alle anderen eher ein Grund zur Langeweile. Diese müssen schon einiges an Geduld aufbringen, um über die ausgedehnten Passagen zum Thema Garten durchzustehen, um dann dem Leben von Hedda folgen zu können, das leider oft in der Erzählung viel zu kurz kommt.

Ein Leben im Elfenbeinturm

Auch wenn Blankenese zur damaligen Zeit noch vor den Toren Hamburgs lag und der Park der Clarenburgs ein abgeschlossenes Areal war, ist die Darstellung von Heddas Dasein als Leben im Elfenbeinturm kaum glaubhaft. Während sich der Erste Weltkrieg noch auf grausame Weise Zutritt verschafft, bleibt der Schrecken der Judenverfolgung lange Zeit vor den Toren stehen. Hedda scheint nicht direkt tangiert zu sein, sondern größtenteils nur über Dritte von den Maßnahmen gegen Juden zu hören. Ihre persönlichen Gefühle werden viel zu kurz geschildert, selbst als sie dann doch die Auswirkungen der Naziherrschaft zu spüren bekommt. Hier hätte ein bisschen mehr Reflektion der Protagonistin gutgetan, zumal sie als Jüdin direkt betroffen war. So allerdings beschäftigt sich Hedda sehr mit ihrer Arbeit. Jedoch hat es Lagoda verstanden, die Unschlüssigkeit über eine Flucht aus Deutschland zu zeichnen. Die Zerrissenheit der Familie Clarenburg ob man gehen oder bleiben soll, ist aber auch hier wieder greifbarer als Heddas Zögern, denn sie wähnt sich lange sicher in ihrem Garten.

Fazit

Ein Denkmal für die erste weibliche Obergärtnerin Deutschlands! Geschickt verbindet Marion Lagoda Historisches und Fiktives und schafft damit einen Roman, der vor allem Gartenliebhaber begeistern dürfte. Neben der Gärtnerin dominiert besonders der Garten das Geschehen und entführt die Leserschaft in die Welt der Gartenarchitekten, aus der Zeit um den Ersten Weltkrieges und der dunklen Zeit der Judenverfolgung, aber vielleicht auch in den „Römischen Garten“ in Blankenese, dessen Entstehung Vorbild für diesen Roman war.

Ein Garten über der Elbe

Marion Lagoda, C. Bertelsmann

Ein Garten über der Elbe

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