Beleidigung dritten Grades
- Antje Kunstmann
- Erschienen: März 2022
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- HC, 320 Seiten
Ein Duell in Ehren kann niemand verwehren?
Als Oskar B. Markov an einem Winternachmittag in die Polizeiwache am Alexanderplatz stürmt, staunen die Beamten nicht schlecht, denn der Psychiater und Schlafcoach möchte eine ganz spezielle Anzeige erstatten: Jemand hat ihn zum Duell gefordert! Jener Jemand ist Alexander Schill, Antiquar und selbsternannter Duellexperte, der es nicht verwunden hat, dass seine Ex-Freundin nun mit Markov zusammen ist. Für ihn handelt es sich dabei ganz klar um eine Beleidigung dritten Grades, die nur durch ein Pistolenduell aus der Welt geschafft werden kann.
Während die Polizei mit diesem Fall, den es eigentlich gar nicht geben dürfte, heillos überfordert ist, macht sich Schill auf die Suche nach adäquaten Schusswaffen und gelangt so in den Besitz zweier Pistolen, die bereits 1937 bei dem letzten Duell auf deutschem Boden zum Einsatz gekommen sind. Unterstützung findet Schill in einer Gruppe begeisterter Russen, die ihm dabei helfen, seine Duell-Checkliste abzuarbeiten. Zur selben Zeit verliert sich Markov immer mehr in seiner Paranoia und auch die Polizei scheint das drohende Finale nicht aufhalten zu können – und ja, das alles ist buchstäblich ein Mordsspaß!
Heute wie damals einfach bekloppt
Was würde passieren, wenn jemand in unserer heutigen Zeit einen Konkurrenten zu einem Duell fordern würde? Dieser Frage geht Autor und Satiriker Rayk Wieland nach und offenbart dadurch die zeitlose Absurdität des Duellwesens. Verwoben hat Wieland seine moderne Erzählung mit der Geschichte des letzten offiziellen Duells in Deutschland, das in Hohenlychen stattfand und bei dem sich zwei Nazis voller Inbrunst gegenseitig die Kugel gegeben haben. Das tödlich getroffene Opfer dieser Auseinandersetzung war ausgerechnet Hitlers Lieblingskorrespondent Roland Strunk. Ein Umstand, der zum sofortigen Verbot des ehrbaren Sich-gegenseitig-Abknallens führte.
Dieselben Pistolen wie damals sollen auch das Duell in Wielands Geschichte entscheiden. Ebenso wie in Hohenlychen geht es in dem Fall Markov-Schill um eine Frau. Und wie das nun einmal so war, durfte die Frau – also die Person, um die es in den meisten Fragen der Ehre eigentlich ging – nichts zu dem Ganzen sagen. Wohl deshalb steckt Rayk Wieland die betreffende Akteurin seiner Geschichte bezeichnenderweise während der Zeit der Duellvorbereitungen in ein Schweigekloster. Dies ist nur eines von vielen Beispielen für den intelligenten und präzisen Humor Wielands: So treffen sich die beiden Sekundantinnen (!) in einem Fisch-Spa, um die Details zu planen, während es ausgerechnet bei einer Aufführung der Oper „Eugen Onegin“ zu einem herrlich komischen Zwischenfall kommt. Zwischendurch überlegt Schill sogar, einen Duell-Verein zu gründen inklusive juristischer Beratung und Sekundantenservice.
Rayk Wieland zieht die Kulturtechnik des Duells in einem zeitgenössischen Setting also nach Strich und Faden durch den Kakao. Obwohl das rituelle Sich-erschießen-lassen zwischen Männern längst aus der Mode gekommen ist, gelingt es Wieland, Abstrusitäten in der heutigen Gesellschaft – von festgefahrenen Strukturen bis hin zu ungesundem Egoismus – wunderbar anhand seiner modernen Duell-Geschichte vorzuführen.
Kompakte Kulturgeschichte des Duells
Dem Ganzen liegt eine beeindruckende Recherchearbeit zugrunde, nicht nur, was die Nacherzählung des Duells in Hohenlychen angeht, sondern auch, was die vielen historischen und literarischen Bezüge betrifft, die Wieland ganz nebenbei einstreut. Wer sich mit der Geschichte des Duells nicht auskennt, findet in diesem Roman eine Menge spannender Anekdoten.
Erstaunlich ist, dass in der Geschichte an sich nicht furchtbar viel passiert. Trotzdem steckt der Text voll abstruser Ideen und Dialoge, die wahnsinnig viel Spaß machen. Das ist nicht zuletzt dem fantastischen Schreibstil zu verdanken, dessen Eloquenz und Präzision nur zu bewundern sind. Die ständigen Partizipialkonstruktionen hätten jedoch nicht sein müssen, trotzdem tut das der Grandiosität des Textes keinen Abbruch!
Fazit
Was für ein herrlich absurdes Buch! Rayk Wieland hat in „Beleidigung dritten Grades“ wirklich alles im Griff: Handlung, Figuren und Schreibstil. Ein kleines Meisterwerk, das der Riege der Duell-Literatur der letzten Jahrhunderte die Krone aufsetzt.
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