Die Guten, die Bösen und die Unfruchtbaren
Fairchild, Dakota, 1894: Die Sitten sind rau, das Leben hart, und eine Grippewelle hat die bereits spärliche Bevölkerung des Landstriches ausgedünnt. Umso wichtiger ist es für die kleinen Gemeinden, ihre Werte und Traditionen zu bewahren. So ist es für die junge Ada nun bald soweit: Mit 17 wird sie verheiratet. Doch so sehr sie und ihr Mann sich auch bemühen – der Kindersegen bleibt aus. Könnte es an Ada liegen? Unfruchtbare Frauen haben hier keinen leichten Stand, werden schnell für sämtliche Übel verantwortlich gemacht oder gar als Hexe verschrien. Als der lokale Sherrif Branch auf die Situation aufmerksam wird, bleibt Adas Mutter, einer weltgewandten und kundigen Hebamme, die ihrer ältesten Tochter einiges an medizinischem Wissen hat vermitteln können, nichts übrig, als dieser zur Flucht zu verhelfen.
So verlässt Ada schweren Herzens ihre Familie und findet in einem Kloster Zuflucht, wo sie sich in das Thema Unfruchtbarkeit einliest und verschiedenste Theorien zu deren Ursachen studiert. Schließlich hat sie ein klares Ziel vor Augen: In Pagosa Springs soll eine weise Hebamme namens Alice Schaeffer leben, die mehr über den (weiblichen) Körper weiß als jede andere. Die Mutter Oberin rät Ada, zunächst die enigmatische Hole-in-the-Wall-Gang, angeführt von „The Kid“, aufzusuchen. Eher widerstrebend wird Ada in die Gang aufgenommen – und nimmt damit den Status einer Gesetzlosen an …
„Wenn ein Mensch etwas glaubt, kann man ihm das nicht einfach nehmen. Du musst ihm etwas zum Tausch anbieten“
Anna North, die ihre Karriere als Filmkritikerin begann und am „Writers Workshop“ der Universität von Iowa teilnahm, ist eine produktive Journalistin und Autorin, die u.a. für die „New York Times“, „The Atlantic“ und „Buzzfeed“ geschrieben hat. Ihre Artikel und Bücher beschäftigen sich häufig mit Frauen- und Geschlechterfragen – so auch ihr aktueller Roman Die Gesetzlose, der in deutscher Übersetzung von Sonia Bonné bei eichborn erschienen ist.
„Wissen kann sehr wertvoll sein, aber nur, wenn die Leute es wollen. Wenn nicht, ist es wertlos. Bestenfalls“
Saloons, Cowboys, Schießereien, Steppenroller, zerklüftete rote Felsen und die weite Prärie: Anna Norths Roman hat auf den ersten Blick alles, was man von einem waschechten Western erwartet. Vor allem hat sie mit der klugen und zielstrebigen Ada eine Figur geschaffen, der man gerne durch dieses unwirtliche Terrain folgt – was ebenso für die Mitglieder der Gang gilt, die ihre eigenen, schmerzhaften Geschichten zu erzählen haben und die im Laufe des Buches nicht nur zusammen-, sondern einem auch ans Herz wachsen. An dieser Stelle muss der (recht früh offenbarte) Twist der Geschichte verraten werden: Bei der Hole-in-the-Wall-Gang handelt es sich nicht etwa um raubeinige Banditen, sondern um Frauen, die alle aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit bedroht, gedemütigt und vertrieben wurden und sich daher nun als Männer ausgeben, um sich im Verbund mit Raubzügen über Wasser zu halten! Der Begriff „gesetzlos“ wird also auf interessante Art und Weise gleich mit mehreren Bedeutungen aufgeladen.
„Ich sah die Frau, die ich hätte sein können, und den Mann, der ich zu sein vorgab. Beide waren glücklicher als die Person, die ich im echten Leben war“
Die gesellschaftskritischen Töne des Buches werden u.a. ergänzt durch das Thema mentaler Gesundheit. „The Kid“ hat vom Großvater nämlich nicht nur dessen Charisma und Hang zum Predigen geerbt, sondern auch seine Schlaflosigkeit sowie depressive und manische Episoden, und steigert sich in Visionen von einer neuen Gesellschaftsordnung und einer glorreichen Zukunft so sehr hinein, dass es die Gang in Gefahr bringen könnte. Alles erleben wir aus der fortschrittsorientierten Perspektive Adas, die zunehmend zu helfen weiß. Hier wird der in dieser Welt vorherrschende Aberglaube mit wissenschaftlichem Denken konfrontiert.
Ab und an geht die Fantasie mit North durch. Eine knapp angedeutete Lovestory im späteren Drittel hätte es auch nicht unbedingt gebraucht. Davon ab präsentiert die Autorin ein unterhaltsames, abenteuerliches Genrespiel mit modernem Anstrich und bittersüßem Finale.
Fazit
Mit Die Gesetzlose setzt Anna North dem klassischerweise explizit und exklusiv männlich-patriarchal geprägten Bild des Westerns eine dezidiert weibliche Stimme entgegen und lässt ihre einfühlsam gezeichneten Außenseiter verschiedenster Couleur den wilden Westen auf den Kopf stellen. Ein wilder Ritt von einem Buch!
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