Scharfsinniger Gesellschaftsroman
In seinem, bereits 2019 als Hardcover erschienenen Buch beweist Alan Hollinghurst einmal mehr sein Talent für formvollendete Sprache und überragende Erzählkunst. Der bereits mit dem Booker-Prize und dem Sommerset-Maughan-Award ausgezeichnete Autor schlägt in „Die Sparsholt-Affäre“ einen Bogen über 70 Jahre, in denen er eine Clique aus Freunden und ihren Nachkommen begleitet, deren Geschichte 1940 in Oxford begann.
Sparsholt kommt nach Oxford
Der 17-jährige Student und Ruderer David D. Sparsholt kommt für ein Semester nach Oxford, bevor er sich dem Kriegsdienst widmen will. Anfänglich ist ihm nicht bewusst, welche Wirkung er als durchtrainierter und leicht naiver Mann auf die anderen Studenten hat. Doch bald stößt er zur Clique von Evert Dax und Freddie Green. Und während London im Blitzkrieg versinkt, werden in Oxford die Grundlagen für eine weitreichende Affäre geschaffen.
Homosexualität zieht sich als Faden durch die Geschichte
30 Jahre später kommt Davids Sohn Jonathan nach London. Geschäfte führen ihn ins Haus von Evert Dax – und wie sein Vater gerät er in den Dunstkreis dieses angesehenen Publizisten. Spätestens jetzt wird deutlich, dass Homosexualität das Leitmotiv in diesem Roman ist. Auch wenn die titelgebende Affäre nur angedeutet wird und David lediglich eine untergeordnete Rolle im Roman spielt, stehen homosexuelle Beziehungen im Mittelpunkt des Geschehens und sie zeigen den gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit diesem Thema. Hollinghurst erzählt scharfzüngig den Weg vom gesetzlich Verbotenem, über das Akzeptierte bis zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Dabei beweist er einmal mehr sein erzählerisches Können und seinen virtuosen Umgang mit Sprache.
Stilsicherheit bis zur Erschöpfung
Doch diese exzessive Erzählkunst, das Spiel mit der Sprache und die manchmal fast schon wie Kompositionen anmutenden Sätze können auch erschöpfen. Gerade wenn an Banales Grenzendes überlang behandelt wird oder die Liebe zum Detail sehr viel Raum einnimmt, scheint sich der Autor manchmal selbst in seiner komplexen Syntax zu verlieren. Der Leserschaft wird dadurch einiges an Durchhaltevermögen, daneben aber auch Liebe zum Ungesagten abverlangt, denn vieles bleibt dennoch im Dunkeln und wird nur angedeutet.
Figuren tragen die Botschaft
Der Magnet dieses mehr als 500 Seiten langen Romans sind die Figuren. Sie tragen die Geschichte und damit die Botschaft einer sich verändernden Gesellschaft. Immer begegnet man den gleichen Personen, auch wenn zuerst Freddie Green im Mittelpunkt steht und dann Jonathan. Das Leben der Clique aus Oxford wird im Rückblick ausgebreitet, ihre Gegenwart als Senioren erzählt. Immer wieder kommen neue Figuren hinzu, die in dieses Ensemble eintreten und mit ihren Rollen das Spiel ergänzen, während andere abtreten. Dabei ist scheint die Figurenzeichnung allerdings nie vollständig, der Eindruck von etwas Verborgenem bleibt, auch wenn das Geheimnisvolle manchmal durch späte Einblicke in die Tiefe der Seelen reduziert wird.
Fazit
Eine komplexe Komposition aus virtuosem Stil, gelungener Figurenzeichnung und der Geschichte eines Gesellschaftswandels. Doch das fordert Geduld und Ausdauer, denn „Die Sparsholt-Affäre“ ist eindeutig ein Roman, der Aufmerksamkeit verlangt.
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