Eine psychedelische Folkrockband in den Sixties
Das von Volker Oldenburg aus dem Englischen übersetzte Buch von David Mitchell führt uns in die vergangene Welt der Sixties und deren Musik. Geschichten um vier Musiker einer Band, die zumindest in diesem Werk Geschichte geschrieben haben. Wir betreten die Clubs und Bars der Stadt London und auf dem Land. Besonders im damaligen Soho konnte man jenen Musikern begegnen, die bis heute unvergänglich sind. Der mühsame Weg der Band von der ersten Single zur Produktion, von den zwei einzigen Alben und schließlich einer erfolgreichen Tournee nach Amerika, wird überzeugend und authentisch geschildert. Die dabei entstehenden Verknüpfungen von fiktionalen zu realen Personen sind so gut gelungen, dass ich erst nach dem Auslesen des Buches nach der Band „Utopia Avenue“ gegoogelt habe, um festzustellen, dass diese Gruppe reine Fiktion ist.
Die Folksängerin Elf Holloway, der Bluesbassist Dean Moss, der Gitarrenvirtuose Jasper de Zoet und der Drummer Griff Griffin entstammen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Daraus ergeben sich für die Personen unterschiedliche Facetten in ihrem Musikverständnis, ihrem Lebensstil und ihren Auffassungen, die David Mitchell virtuos skizziert. Die Welt der Drogen, Sex, Antikriegsdemonstrationen wird wieder lebendig, bis zur anschaulichen Beschreibung eines LSD Trips, der sehr surreal wahrgenommen wird.
Jeder der vier Musiker bringt seine eigene Geschichte und seine Dämonen mit, die stellenweise tragische Verwicklungen zur Folge haben und den rasanten Aufstieg der Band beeinflussen. Aber trotz widriger Ereignisse haben sie sich musikalisch und menschlich weiterentwickelt und wir dürfen sie mit jeder Seite dieses Buches begleiten. Das dokumentiert auch die Werkstruktur. Anstatt Kapitel verwendet David Mitchell die Seiten der herausgegebenen LP als Kapitel, die dazugehörenden Songs werden dem untergeordnet. Da die Entstehungsgeschichten der Songs anschaulich und ausführlich mit Texten (in englischer Sprache) beschrieben werden, ist es für den Leser leicht nachvollziehbar.
Amerika und das Ende
Die dritte LP ist etwas ganz Besonderes und mit einer banalen Tragödie verbunden. Hier endet die Geschichte der Band und ist zugleich ihr Höhepunkt. Die unmenschliche Welt der Musikmanager, Plattenverträge, das Gerangel um Auftritte, Gagen und Rechte ist einer Welt des Zusammenhalts und einer verbindenden Idee in Form von Musik gegenübergestellt. Die glorreichen Zeiten der Sixties werden heraufbeschworen. Der Manager, der sie im Übrigen zusammengeführt und immer an ihren Erfolg geglaubt hat, führte sein Projekt Utopia Avenue zu Ende.
Letzte Worte
David Mitchell, 1969 in Southport Lancashire geboren, hat Englisch und Amerikanische Literatur an der University of Kent in Canterbury studiert. Er hat, abgesehen von seiner Lehrtätigkeit in Sizilien und Hiroshima, zeit seines Lebens geschrieben. Umso erstaunlicher ist die detailgetreue Beschreibung musikalischer Arbeit und die Feinheiten der Instrumente. Für Musiker ein Festschmaus! Allein die Bühnenauftritte, vor allem in Amerika, könnten musikalisch begabte Menschen dazu bringen, es nachspielen zu wollen. Der Autor hat offensichtlich aufwendig recherchiert und dadurch überzeugt. Die überwiegend im Dialogstil gehaltene Erzählweise intensiviert den als real empfundenen Zeitgeist der damaligen Aufbruchsstimmung. In den verworrenen Tagträumen und Zwiesprachen des Jasper de Zoet verliert der Leser stellenweise die Orientierung und der Text wird verworren. Hier scheint sich auch David Mitchell ein wenig zu verlieren, aber es gibt in diesen Passagen eine Verzweigung zu seinem Roman „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ was auch ganz spannend ist.
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