Indien – unverklärt, unromantisch und manchmal etwas umständlich erzählt
Jai weiß schon ganz genau, was er einmal werden will: Er will so sein wie die coolen Detektive, die er aus Police Patrol kennt, die lässig über ihre Sonnenbrille schauen und die jeden Bösewicht blitzschnell durchschauen, verhaften und einbuchten. Genauso will er einmal sein. Bis dahin ist er aber ein kleiner Junge, der mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Runu in einem namenlosen Slum lebt, dessen Schuluniform von mehr Flicken als von Stoff zusammengehalten wird und dem die Hose mal gerade bis zum Knöchel reicht. Aber sicher hat jeder große Detektiv auch einmal klein angefangen - und so stürzt sich Jai mit Feuereifer in seinen ersten großen „Fall“: In seinem Viertel sind Kinder spurlos verschwunden, und mitsamt seinen Freunden Pari und Faiz nimmt er die „Ermittlungen“ auf.
Die kleinen selbsternannten Ordnungshüter wirbeln dabei einiges auf, was die Erwachsenen eigentlich lieber unter den Teppich kehren würden, und stellen viele Fragen, die einigen doch recht sauer aufstoßen. Dennoch vergessen sie im Eifer des Gefechts eine wichtige Tatsache: Es gibt keine Garantie dafür, dass drohendes Unheil auch die Familien der tüchtigsten Detektive verschonen könnte …
„Ich bin der Einzige, der was tun kann. Ich kann Bahadur finden, weil ich schon Hunderte von Sendungen im Fernsehen gesehen habe und haargenau weiß, wie ein Detektiv wie Byomkesh Bakshi böse Menschen fängt...“
Die indische Autorin Deepa Anappara schildert in ihrem Debutroman eine für uns Europäer fremde Welt - eine Welt, in der sich vieles darauf orientiert, was gerade noch so auf den Tisch kommt; wo diejenigen, die in den Slums leben, keine Stimme haben, Frauen noch weniger zählen, aber auf der Gegenseite Geld offensichtlich vieles regiert.
In dieser Welt lebt der neunjährige Jai, und wenn uns sein Leben auch oft hart und kinderfeindlich vorkommt - er kennt es nicht anders. Jai hat dennoch dieselben Träume und Wünsche wie jedes Kind und versucht diese mit seinen beiden besten Freunden umzusetzen. Natürlich kann das nicht so klappen, wie er sich das vorstellt, denn die glitzernde Welt der Police Patrol ist eine vollkommen andere als die eines Slums. Dennoch kann die Phantasie der Kinder auch aus dem dreckigsten Umfeld und selbst aus einer Müllkippe einiges herausholen.
Aber auch wenn hier einige charmante Szenen geschildert werden, bleibt in Anaparras Werk eine wie auch immer mögliche Verklärung des Ghettolebens aus. Ganz im Gegenteil: Sie zeigt, wie die korrupte Polizei dem Verschwinden vieler Kinder offensichtlich tatenlos gegenübersteht, lässt diese aber auch ihre Untätigkeit mit fehlenden Gehältern und mittelalterlicher Ausrüstung erklären. Ein besonderer Schwerpunkt kommt in ihrem Buch auch der Rolle der Frau zu. So wird anhand von Jais Schwester Runu gezeigt, wie Frauen und Mädchen zusätzliche Steine bei ihren beruflichen Wünschen in den Weg gelegt werden und es fast unmöglich ist, die Grenzen der Gesellschaftsschicht, in die sie hineingeboren werden, zu überwinden.
Anaparra läst ihre kleinen Helden in einem durch alte Wertungen und Traditionen verkrusteten Indien leben. Da ist das tiefe Misstrauen, das zwischen den Hindus und Moslems besteht und durch das Verschwinden der Kinder erneut befeuert wird. Da ist der alte Glaube, dass diejenigen, die Geld haben, offensichtlich direkt zu den „Guten“ und „Verantwortungsvollen“ gehören und nichts Böses tun können, solange sie nur in der Gesellschaft von ranghohen Polizeichefs unterwegs sind.
Deepa Anappara zeigt, dass Indien bei aller Farbigkeit und bei allem Glanz, der möglicherweise die Touristen und Besucher bezaubert, noch einen weiten Weg in eine gleichberechtigte, moderne Welt zu gehen hat. Für uns Europäer ist das manchmal schwer zu lesen, und nicht ganz einfach wird die Lektüre auch durch die Vielzahl indischer Worte, die allerdings alle im Glossar erläutert werden. Einige Abschweifungen in der Geschichte blieben für mich auch unverständlich und zusammenhanglos; manchmal hätte ich mir eine straffere Handlung gewünscht.
Fazit:
Die Detektive vom Bhoot-Basar zeigt einen unverklärten Blick auf das Leben der Menschen in Indien, die sich fernab von Farbentaumel, Tigern und Taj Mahal durchschlagen müssen – aber immerhin dennoch einen Funken Hoffnung und kindlichen Charme bewahren können.
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