Nicht ganz überzeugender Mexican-Gothic
Mexiko-Stadt 1950: die in wohlhabenden Verhältnissen lebende Noemí erfährt, dass ihr Vater einen sehr verstörenden Brief von ihrer Cousine Catalina erhalten hat. Diese ist zusammen mit Noemí aufgewachsen, lebt aber jetzt mit ihrem Mann und dessen Familie in einem abgelegenen Tal des Gebirges. Sie bringt in dem Schriftstück Beschuldigungen vor, die man aber wegen der wirren Schreiberei kaum einzuordnen weiß. Also wird die junge Noemí ins nebelverhangene Hochland entsendet, um herauszufinden, was dort passiert. Kaum angekommen, zeigt sich, wie verschroben Catalinas neue Familie ist, die einst durch Silberminen reich wurde, jetzt aber in einem einsam gelegenen, halb verfallenen Haus residiert. Noemí lässt sich nicht einschüchtern, doch Catalina scheint merkwürdig schwach und auch sie hat bald verstörende Albträume. Bis Noemí merkt, was los ist, scheint es zu spät – auch für sie.
Moreno-Garcia schlägt (fast) neue Seiten auf
Die mexikanisch-kanadische Autorin hat schon einige Preise für ihr Werke abgeräumt und wurde für noch mehr nominiert. Sie verknüpft unterschiedliche Genre und gibt scheinbar Etabliertem einen ganz neuen Anstrich. So auch mit dem vorliegenden Buch. Der Gothic-Roman ist eine ur-englische Erfindung, die mit unterschiedlichen Schauerelementen Spannung und Grusel aufbaut. Das Morbide und der lauernde Tod sind dabei zentral. Moreno-Garcia transferiert den Ort des Geschehens nun erstmals von den bisher üblichen nach Mexiko. Jedoch hält sie ansonsten an den herkömmlichen Elementen fest: ein langsam verfallendes Haus; ein zugewachsener Friedhof; Einsamkeit und Stille; eine undurchsichtige Gesellschaft, sogar der immer gern genommene Nebel und die scheinbare völlige Isolation durchdringen das Geschehen. Man sollte also kein neues Sub-Genre erwarten, aber kann sich dennoch auf einen soliden Schauerroman freuen.
Noemí ist zentrale Protagonistin
Gleich zu Beginn wird klar, dass Noemí der Mittelpunkt des Romans sein wird. Die Autorin schafft mit ihr einen weitgehend unabhängigen Charakter, der sich ausprobiert und dennoch in den Traditionen der mexikanischen Familie verhaftet ist. Noemí bewegt sich durch den Reichtum ihrer Familie in gehobenen Kreisen und muss aber nun im Hochland das Leben der abgehängten Gesellschaft kennenlernen.
Der sehr beunruhigende Brief setzt einen Ablauf in Gang, der gleich zu Beginn für prickelnde Spannung sorgt, die im Laufe der Ereignisse noch zulegt. Erst zum Schluss wird die Geschichte so unrealistisch, dass die Spannung dabei Gefahr läuft ins Nichts abzustürzen.
Hier hätte ich mir etwas weniger Phantastik gewünscht, die zudem so dick aufgetragen ist, dass sie dem Roman eher schadet als ihn in einem packenden Finale enden zu lassen. Für eine Leserschaft, die auch in der Belletristik lieber auf logisch-realistischen Pfaden wandelt, dürfte daher „Der mexikanische Fluch“ eine weniger befriedigende Lektüre darstellen.
Man muss schon bereit sein, sich auf die morbide-phantastische Atmosphäre eines Gothic-Romans einzulassen, der neben gekonnt inszenierten Dialogen und gut gezeichneten Figuren vor allem durch eine gehörige Portion Grusel punktet.
Fazit
Silvia Moreno-Garcia ist eine Schauergeschichte gelungen, die ganz in der Tradition der Gothic-Romane steht. Das bedeutet aber, dass man sich auf phantastische Elemente und einen sehr phantasievollen Schluss einlassen muss, die den Roman für eine realitätsliebende Leserschaft weniger empfehlenswert machen.
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