Abschiede aus Hass geboren
Armando Lucas Correa ist ein kubanischer Journalist und Autor. Er lebt in New-York, wo er das wichtigste Magazin der spanisch-sprechenden Gemeinde in den USA, „People en Español“, herausgibt. In seinen zwei bisher erschienen Romanen thematisiert er immer eine Flucht vor den Nazis mit Hilfe des Schiffes MS St. Louis und sich daraus ergebenden Problemen. So auch in seinem dritten auf Deutsch erschienen Buch „Die Reisenden der Nacht“, in dem die kleine Lilith Abschied von Deutschland und ihrer Mutter nehmen muss.
Ideologien trennen Mütter von ihren Töchtern
Ally bekommt mit ihrer großen Liebe Marcus eine Tochter. Doch Marcus hat eine schwarze Hautfarbe und so ist Lilith ein „Rheinlandbastard“, dem Hitlers Rassenwahn jedes Existenzrecht verwehrt. Um ihre Tochter vor dem Tod zu retten, schickt Ally sie mit einem jüdischen Ehepaar nach Kuba. Während der kubanischen Revolution steht Lilith vor der gleichen schweren Entscheidung, wie ihre Mutter, denn das Leben ist nach der Hinrichtung ihres Mannes nicht mehr sicher für sie und ihre Tochter Nadine. Viele Jahre später erfährt Nadines Tochter Luna von deren Schicksal und gräbt deshalb in der Geschichte ihrer Familie, in der Mütter sich von ihren Töchtern trennen mussten.
Mit Intensität erzählt
Gekonnt verbindet Armando Lucas Correa abermals Weltpolitik mit ganz persönlichen Schicksalen. Dieses Mal sind es vier Frauen-Generationen einer Familie, die geprägt werden von der einschneidenden Revolution Fidel Castros auf Kuba und vor allem von der Herrschaft der Nazis, die auch noch für Luna eine aktuelle Rolle spielt. Mit großer Intensität erzählt der Autor von den Qualen, die Ally und Lilith durchleben müssen, immer in der Angst um das Leben ihrer Töchter. Daher fesselt die Zeit in Berlin, als Ally versucht die hoch intelligente Lilith vor den Nazis zu bewahren und dabei auch immer mehr ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt, besonders. Doch auch Liliths Leben auf Kuba wird eindrücklich geschildert und zeigt, dass sie zwar gerettet ist, doch ihre Identität ihr genommen wurde. Schwächer, aber dennoch intensiv, wird das Leben von Nadine beschrieben, die wiederum direkt mit dem schon vergangenen Naziterror konfrontiert wird. Erst mit Luna schließt sich der Kreis, sowohl örtlich als auch familiär, denn sie lebt in Berlin und findet eine Verbindung zur Vergangenheit ihrer Familie, die eine überraschende Wendung im Roman darstellt.
Das Ich zerbricht
Glaubhaft und eindrücklich schildert der Autor die Qualen der Mütter, die ihre Töchter in fremde Hände geben müssen. Doch auch das Leid der Kinder ist fast unerträglich. Sie müssen ihr bisheriges Ich aufgeben, bekommen einen anderen Namen, ein anderes Umfeld und haben absolut keine Verbindung mehr zu ihrer eigentlichen Familie. Dieses Zerbrechen der eigenen Identität ist besonders in Liliths Fall fast greifbar, die uns an ihren Gedanken und Ängsten besonders teilhaben lässt. Auch Nadine wird mit neuen Identitäten konfrontiert – ihrer eigenen und die ihrer Adoptivmutter, die ein abgrundtiefes Geheimnis damit verschleiern will. Damit und mit der Frage der Restitution von gestohlenen Besitztümern webt der Autor wiederum gekonnt historische Aspekte ein, die noch mehr Spannung in die Lebensgeschichten bringen. Konstruiert wirken dagegen die Verbindungen der Frauen zu Prominenten und Politikern. Doch das ist dem Plot geschuldet, obwohl er auch ohne diese in seiner Grundaussage genauso funktioniert hätte.
Ein Roman mit Anhang
Was für ein belletristisches Werk eher ungewöhnlich ist, ist die mehrseitige Bibliografie im Anhang. Sie zeigt, wie intensiv die Recherche des Autors war, um die historischen Hintergründe möglichst realistisch und korrekt darstellen zu können. In „Anmerkungen des Autors“ werden zudem drei Themen erklärt, die im Roman eine große Rolle spielen. Wem „Eugenik“, „MS ST. Louis“ und „Operation Peter Pan“ nichts sagen, findet hier Hintergrundwissen, das die Dramatik im Buch noch einmal intensiv verdeutlicht.
Fazit
Ein Vier-Generationen-Roman voller Intensität und in Leichtigkeit erzählter Tiefe. Gekonnt verbindet Armando Lucas Correa historische Ereignisse mit der Geschichte einer Familie, in der die Frauen schwere Verluste ertragen müssen. Flüssig geschrieben, aber in seiner Tragik nicht immer einfach zu verkraften, lässt der Roman auch nach der Lektüre nicht los und hallt so noch lange nach.
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