Ein Kaleidoskop aus persönlichen Erinnerungen, Wissen, Kunst, Geschehnissen und eine Prise Feminismus
In der Übersetzung aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald liegt nun ein Band von Siri Hustvedt vor, der 20 sehr unterschiedliche Essays beinhaltet. Wer mit Siri Hustvedt noch nicht so vertraut ist, wird überrascht sein von der Vielfalt der Themen, die sie vor uns ausbreitet. Ohne Fanatismus, aber doch vehement wird in den Texten ihre feministische Haltung und die damit verbundenen Verstrickungen sichtbar gemacht. Selbst bei naturwissenschaftlicher Auseinandersetzung im Hinblick auf Neurowissenschaft und Genetik findet die Autorin Aspekte, die es wert sind, sie aus feministischer Sicht zu betrachten. Dabei lässt uns Siri Hustvedt teilhaben an ihren klugen, mitunter sehr anspruchsvollen Gedankengängen, die sehr anregend fast spannend erzählt sind.
Die norwegischen Immigranten
In den ersten Essays werden wir mit den norwegischen Vorfahren von Siri Hustvedt bekannt gemacht. Die Urgroßeltern aus Norwegen stammend, haben die weit verzweigte Familie in Minnesota begründet. Der Vater, der die Familiengeschichte aufgezeichnet hat, ist allerdings nur der väterlichen Linie nachgegangen. Die Familienlegenden aus einem harten Farmerleben mit Weltwirtschaftskrise, Armut und Sehnsucht nach Norwegen sind wunderbar und mit sehr viel Zärtlichkeit erzählt. In diesen autobiografischen Texten nimmt ihre Mutter eine wichtige Rolle ein, die die Autorin geschickt nutzt, um anhand deren Lebensgeschichte unter anderem die patriarchalischen Verhältnisse in der Gesellschaft aufzuzeigen. Damit findet sie eine gute Überleitung zu ihren Erfahrungen in der literarischen und wissenschaftlichen Welt, wenn ihr zum Beispiel als Frau Arbeiten nicht zugetraut werden. Sie wird eher verdächtigt, das geistige Wissen von ihrem Mann, Paul Auster, ebenfalls Autor, veröffentlicht zu haben. Wenn sie dieses Stadium mit Sicherheit überwunden hat, so gehört es doch zu ihren prägenden Erinnerungen wie schwer es doch ist, als Frau mit Leistungen zu überzeugen.
Die intellektuelle Vagabundin in Neurowissenschaft, Genetik, Kunst, Literatur, Kriminalfall
Die Mannigfaltigkeit der Interessen von Siri Hustvedt haben das Potential vom Leser aufgesaugt zu werden, um sie zu eigenen Interessen zu machen. Es geht um Kunst, wir sind zu Gast bei der Künstlerin Louise Bourgeois, die die feministische Kunstbewegung stark inspiriert hat. Es geht um Literatur, wir lesen durch den Kopf von Siri Hustvedt das Buch von Emily Bronte „Sturmhöhe“ und entdecken dabei, dass wir es eigentlich noch mal lesen müssten, um ihren Anmerkungen folgen zu können. Wir erfahren, wie sich Misogynie (Hass auf Frauen) äußert und erfahren philosophische, physiologische, ethische, medizinische und politische Einsichten. Wir dürfen literarischen Variationen der Erzählung vom Sindbad den Seefahrer folgen, die grausam mit unserer Phantasie spielen. Wir wissen jetzt, wie die Autorin die Corona Pandemie in New York empfunden hat. Ein Kriminalfall aus dem Jahr 1965 aus Indianapolis, bei der ein 16-jähriges Mädchen nach unsagbaren Qualen durch Folterung starb, erfahren wir protokollhaft nüchtern. Die Wertung des Ereignisses wird uns allerdings psychologisch erklärt, damit bekommt der Mord zwar keinen Sinn, ist aber dem sozialen Dilemma der Mörder geschuldet. So treiben wir in diesem Essayband durch ein großes Sammelsurium an Denkanstößen, Wissen und Ereignissen, die unsere Sicht auf die Welt erweitert.
Siri Hustvedt ist 1955 in Minnesota geboren und wie es aus diesem Essayband hervorgeht, sind ihre Urgroßeltern aus Norwegen immigriert. Daher wuchs sie auch zweisprachig auf. Sie studierte an der Columbia University Literatur und hat bislang sieben Romane publiziert, die international Aufmerksamkeit erregten. Ihre besondere Vorliebe gilt jedoch dem Essay, was sie mit diesem Band wieder bewiesen hat.
Fazit
Ein Kaleidoskop aus persönlichen Erinnerungen, Wissen, Kunst, Geschehnissen und eine Prise Feminismus erweitern den Blickwinkel für jeden, der mit dem Lesen auf Entdeckung gehen, Nachdenken und seinen Horizont erweitern will.
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