Die Farbe meines Blutes

Die Farbe meines Blutes
Die Farbe meines Blutes
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Carola Krauße-Reim
781001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2023

Was definiert das eigene Ich?

Denene Millner, Jahrgang 1968, ist eine preisgekrönte afroamerikanische Journalistin, Bloggerin, Managerin eines Verlags-Imprints und Autorin von Sach- und Kinderbüchern, sowie Romanen. Von ihren über 30 Büchern sind 6 New-York-Times-Bestseller geworden. Jedoch ist „Die Farbe meines Blutes“ das erste Buch von ihr, das auf Deutsch erschienen ist.

Literarische Persönlichkeitssuche

Als sie 12 Jahre alt war, entdeckte Millner ihre Adoptionsurkunde. Ihren Fund verschwieg sie aus Angst, die Adoption laut auszusprechen würde sie real in ihr Leben treten lassen. Da auch ihre Eltern dieses Geheimnis hüteten, kam es erst am Tag der Beerdigung ihrer Mutter zur Sprache. Wirklich bewusst wurde sich Millner der Bedeutung der leiblichen Mutter erst, als sie selbst ihr erstes Kind erwartete und nach dem gesundheitlichen familiären Hintergrund gefragt wurde. Dieser blieb ihr genauso verborgen, wie die Identität ihrer leiblichen Mutter und die Gründe, warum diese unerkannt ihre Tochter auf den Stufen eines Waisenhauses abgelegt hatte. Im Laufe der Jahre reimte sich Millner eine Geschichte zusammen, die mit ihrer ganzen Überzeugung darin endet, dass ihre leibliche Mutter aus reiner Liebe auf ihre Tochter verzichtet hat - entweder um sie zu schützen oder um ihr ein besseres Leben zu ermöglichen. Millner ist sich sicher, dass nur Mut und starke Liebe so etwas möglich gemacht haben.

Das Thema Adoption und Identität greift Millner immer wieder in ihren Büchern auf, ihr Blog ist dem ganz gewidmet. Obwohl sie „Die Farbe meines Blutes“ als fiktional bezeichnet, fließt doch viel von ihr hinein: Ihre Überzeugung von der leiblichen Mutter unendlich geliebt worden zu sein; die Aufnahme und das Ankommen in der Familie ihrer Adoptiveltern; die Suche einer adoptierten Tochter nach ihren Wurzeln und die Frage, was das eigene Ich eigentlich definiert – die Erziehung und das Erleben oder doch das genetische Erbe?

Ein Dreigenerationen-Roman

Millners Erzählung setzt 1968 ein. Die junge Grace, afroamerikanisch und aus einfachsten Verhältnissen stammend, entkommt in höchster Gefahr auf abenteuerliche Weise dem immer noch rassistisch geprägten Süden. In New York kommt sie bei einer wohlhabenden Tante unter, die sie als billiges Hausmädchen missbraucht. Als Grace schwanger wird, ändert sich nicht nur für sie alles, auch ihre Tante wird aus der schwarzen Community ausgestoßen. Die Folgen für Grace sind dramatisch: ihre Tochter wird ihr weggenommen und sie muss das Haus ihrer Tante in eine ungewisse Zukunft verlassen.

Im zweiten Teil begleiten wir Dolores, die zusammen mit ihrem Mann nicht nur einen kleinen Jungen adoptiert, sondern auch die zweijährige Rae, die sich im dritten Teil, der 1999 einsetzt, als Graces Tochter herausstellt. Als Rae selbst eine Tochter bekommt und zudem hinter ein schwerwiegendes Geheimnis kommt, setzt sie sich mit ihrer Herkunft auseinander, was zwangsläufig zur Identitätssuche und der Frage nach der leiblichen Mutter führt.

Die schwarze Community von innen betrachtet

1968 war die Apartheid in den Vereinigten Staaten offiziell abgeschafft, doch im Süden hatte sich nicht viel geändert. Die Trennung zwischen Schwarzen und Weißen, die Aktivitäten des Ku-Klux-Klans und die alltäglichen Einschränkungen für Afroamerikaner wurden literarisch oft beschrieben. Probleme innerhalb der schwarzen Community allerdings wurden bisher weniger thematisiert. Mit ihren drei Protagonistinnen stellt sich die Autorin aber mitten in diese Gemeinschaft und erzählt quasi von innen heraus und nach außen betrachtend. Die Probleme der Rassentrennung und der Bürgerrechtsbewegung werden zwar auch angeschnitten, sind aber nicht Mittelpunkt der Handlung.

Ein brutales Patriarchat

Bestimmt werden die Leben der drei Frauen von ihren Männern. Das vorherrschende Patriarchat zeigt sich in vielen Dingen. Was davon aber bei der Lektüre wirklich nur schwer zu ertragen ist, sind die Schilderungen allgegenwärtiger Brutalität. In den Familien wird geprügelt, vergewaltigt und Kinder werden misshandelt. Zudem spielt der christliche Glaube eine enorme Rolle. Der Geistliche steht als unumstrittene Instanz fest, auch wenn er brutalste Handlungen begeht und selbst vor Mord nicht zurückschreckt. Das alles scheint der vergangenen und zum Teil wohl auch gegenwärtigen Realität zu entsprechen und ist daher erschreckend.

Auch die Rolle der Frau ist oft sehr negativ beschrieben, was die Lektüre nicht gerade angenehmer macht. Doch Millner spinnt diese Beschreibungen in drei Leben ein, die wiederum auf reale aber auch auf sehr esoterische Weise miteinander verbunden sind. Grace praktiziert, wie ihre Großmutter noch die Naturreligion ihrer Vorfahren und hat, wie Rae später auch, die Fähigkeit den Geist auf Reisen zu schicken. Dadurch kommt ein etwas abwegiges Element in die ansonsten realistische Geschichte, was für zeitweise Verwunderung sorgen kann.

Der Mittelteil schwächelt

Millner ist ein Porträt der schwarzen Community gelungen, das fesselt. Gleich zu Beginn lässt sie Grace die ganze Brutalität des Lebens als Schwarze im Süden der USA erleben. Das ist ein starker Auftakt! Doch im Mittelteil des Romans lässt diese fesselnde Intensität nach. Dolores Leben wird mit zu vielen Wiederholungen erzählt, ihr Geheimnis zu lange, und damit wenig packend, aufgebaut. Erst mit Rae kommt wieder Schwung in die Handlung, auch wenn hier die Esoterik stark bemüht wird. Letztendlich wird die Frage nach der Identität von Adoptierten sehr diplomatisch beantwortet und ganz im Sinne der Autorin, die überzeugt ist, ihre leibliche Mutter hat sie aus überbordend fürsorglicher Liebe auf den Stufen eines Waisenhauses abgelegt.

Fazit

Eine packende Suche nach der eigenen Identität. Die Frage nach der Definition des eigenen Ich ist universell, doch Millner versucht sie anhand von drei Generationen afroamerikanischer Frauen zu lösen. Das gelingt ihr zwar nicht durchgehend überzeugend, doch „Die Farbe meines Blutes“ nähert sich dennoch sehr einfühlsam dem schwierigen Thema und zeigt außerdem ein Bild der schwarzen Community, das es zu betrachten lohnt.

Die Farbe meines Blutes

Denene Millner, Goldmann

Die Farbe meines Blutes

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