Zeit der Schuld

Zeit der Schuld
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Monika Wenger
891001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2023

Drei Menschen, unglücklich mit einander verbunden.

Eines Nachts werden in Delhi fünf Menschen, die unter einer Brücke im Freien schlafen, von einem betrunkenen Autofahrer überfahren. So beginnt die Geschichte von Ajay, Sunny Wadia und Neda Kapur. Eine Geschichte voller Gegensätze und Abhängigkeiten.

Toxische Anziehungskraft

Ajay wird im indischen Uttar Pradesh geboren. Seine Familie gehört zu den Ärmsten und niedrigsten Kaste im indischen Gesellschaftssystem. Mit acht Jahren wird er als Sklave in die Grenzregion zu Nepal verkauft. Ein stiller Junge, fleissig und genügsam, der im Lokal für Rucksacktouristen für seinen Dienstherrn schuftet. Dort trifft er das erste Mal auf Sunny Wadia, dem verwöhnten, verruchten jungen Mann aus reichem Elternhaus. Später wird Ajay als Diener und Bodyguard für eben diesen Sunny arbeiten.

Ajay verkörpert im Roman so etwas wie das moralische Gewissen. Seine Gedanken sind es, die den Wahnsinn in Sunny Wadias Leben erst deutlich machen.  Genau wie Ajay ergeht es der Journalistin Neda. Auch sie kann sich dem Charme und der Anziehungskraft Sunnys nicht entziehen. Zu berauschend sind Luxus, Pracht und der junge Mann, der das alles verkörpert. Die gegenseitigen Abhängigkeiten verstärken sich, verändern die Charaktere.

Nichts als Gegensätze

Deepti Kapoor erzählt in ihrem Roman über das Leben in einer kastenbestimmten Gesellschaft. Extreme Gegensätze prägen das Bild Indiens und die Figuren verkörpern perfekt die gesellschaftlichen Unterschiede. Ajay, der junge Mann mit Herz und Gewissen, wird zum ergebenen Diener Sunny Wadias, dem Tunichtgut. Dieser ist der einzige Sohn eines der mächtigsten und reichsten Männer Nordindiens. Er, der den Ansprüchen seines Vaters nie gerecht wird, verbringt sein Leben auf der Überholspur. Er gibt das Geld aus, das sein Vater auf dubiose Art und Weise verdient und wartet dennoch ständig auf dessen Anerkennung. Wird er wie die Männer in seiner Familie werden? Eine Familie, die sich ihre Macht und ihren Reichtum durch kriminelle Machenschaften, Einflussnahme und Gewalt erworben hat.

Die Autorin hat den schrecklichen Unfall und den Tod von fünf Menschen als effektvollen Einstieg gewählt. In Rückblenden erzählt sie aus dem Leben der beteiligten Personen und kehrt immer wieder zum Geschehen jener Nacht zurück. Dieser Schachzug ermöglicht einen unbarmherzigen Blick auf das moderne Indien, das zwischen Fortschritt und Brauchtum, zwischen Armut und Reichtum, Recht und Unrecht hin- und hergerissen ist. Mit diesen Szenenwechseln schafft Deepti Kapoor eine zunehmende Spannung, einem Kriminalfall gleich. Einer der wichtigen Punkte in dieser Geschichte dreht sich nämlich um die Frage: Wer hat das Unfallauto wirklich gefahren?

Diese zwischenmenschlichen Abgründe weiß Deepti Kapoor gekonnt in Szene zu setzen. Bildhafte Beschreibungen des Landes ergänzen das dramatische Geschehen. Ergreifend und fesselnd zugleich.

Fazit

Eine bemerkenswerte Lektüre, die packt, fasziniert und gleichzeitig nachdenklich stimmt. Deepti Kapoor zeigt in diesem vielschichtigen Roman die ganze Zerrissenheit Indiens in vielen kleinen Tragödien und verbindet sie mit einer spannungsgeladenen Handlung.

Zeit der Schuld

Deepti Kapoor, Blessing

Zeit der Schuld

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