Nett erzählt, aber nicht mehr
Vicky ist Kunsthändlerin und träumt von der großen Karriere. Als sie den herzzerreißenden Brief eines kleinen Jungen in den Händen hält, ist sie berührt. Doch noch interessanter ist die seltene Ausgabe von „Alice im Wunderland“, die der Junge auf einem Foto in den Händen hält und bei einer Auktion eine hohe Summe erzielen könnte. Spontan macht sie sich auf nach Swinton-on-Sea, um das Buch abzukaufen – nicht wissend, dass ihr der Ausflug wesentlich mehr als Geld bringen wird …
„Es gibt nur einen richtigen Weg. Den eigenen. Ging sie den wirklich noch?“
Swinton-on-Sea ist ein beschauliches Örtchen nahe der Küste Schottlands, das von wilder Natur umgeben ist. Mit nur einer Hauptstraße, dafür aber vielen urigen Lädchen und kleinen Buchhandlungen, ist es ein Anziehungspunkt für Touristen und Bücherbegeisterte. Vor allem das Antiquariat „The Reading Fox“ lockt mit seinen verwinkelten Räumen und alten, teils wertvollen Büchern. Dabei ist es auch ein Ort der Trauer – denn die Besitzerin Pat verstarb und hinterließ ihren Ehemann und ihren kleinen Sohn.
Dieser Sohn, Finlay, vermisst seine Mutter sehr. Er schreibt ihr einen Brief und schickt ihn mithilfe eines Ballons in den Himmel. Auf Umwegen gelangt dieser Brief jedoch nach München in die Hände einer jungen Kunsthändlerin: Vicky. Vicky arbeitet bis zum Umfallen, vornehmlich, um einen begehrten Job in Berlin zu ergattern, aber eigentlich, um die Aufmerksamkeit ihres Bosses und Vaters zu gewinnen, der seine Tochter viel zu sehr vernachlässigt hat. Als sie den Brief liest, ist Vicky berührt, doch liegt auch noch ein Foto von Finlay bei, wie dieser eine kostbare „Alice im Wunderland“-Ausgabe in den Händen hält. Prompt wird sie von ihrem Vater nach Schottland geschickt, um dieses Buch in die Hände zu kriegen – und anschließend den begehrten Posten in Berlin in der Tasche zu haben.
Anfangs hat Vicky ihre Aufgabe auch fest im Blick. Die ulkigen Bewohner von Swinton-on-Sea sind ihr suspekt; doch bleibt ihr nichts anderes übrig, als ein paar Tage im Ort zu bleiben, weil ihr Leihwagen streikt. Aus einem Impuls heraus stellt sie sich daher im „The Reading Fox“ als Aushilfsbuchhändlerin vor und ist schnell mittendrin im Geschehen. Um nicht aufzufallen, mischt sie sich ins Dorfleben und merkt, wie sehr sie das Familiäre vermisst hat. Vor allem aber Finlays Vater Graham, der trauernde Witwer, hat es ihr angetan. Doch hat diese Liebelei überhaupt eine Zukunft, wenn ihr Leben in München stattfindet? Und da wäre natürlich noch der eigentliche Grund ihrer Anreise …
Beeindruckt nur wenig
Alleine schon vom Cover wünscht man sich beim Zugreifen des Buches gemütliche Lesestunden unter der Wolldecke, während draußen der kalte Wind bläst. Es ist auch sehr einladend, dieses kleine, verschneite Häuschen nebst Büchern, und man hofft daher natürlich auch auf so ein beschauliches Dörfchen, in dem man sich schnell wohlfühlt. Katharina Herzog gibt sich tatsächlich viel Mühe, diesen Eindruck zu erwecken, aber Swinton-on-Sea will einfach nicht lebendig werden. Auch die winterlichen Gefühle wollen sich nicht einstellen. Es fehlt hier einfach an Eindrücken, die einen mitten hineinziehen in das kleine Dorf.
Aber natürlich steht die Geschichte von Vicky und Graham im Vordergrund sowie auch die der anderen Bewohner, die ihre Eigenheiten haben; so manche wachsen einem schnell ans Herz. Allerdings so gar nicht die beiden Protagonisten selbst: Vicky leidet unter der Abwesenheit ihres Vaters, die ihren Ursprung in ihrer Kindheit hat und erst später thematisiert wird. Dennoch hätte diese verletzte Kinderseele ruhig noch etwas in den Vordergrund gestellt werden können. Graham dagegen ist ein liebender Vater, der sich ordentlich Mühe gibt, für Finlay eine normale Kindheit aufzubauen. Seit dem Todestag seiner Frau ist nun einige Zeit vergangen, aber noch immer hält ihn die Trauer fest, sodass er sich auf niemand anderen einlassen kann. Da passiert es dann doch zu schnell, dass Vicky ihm im Handumdrehen den Kopf verdreht. Überhaupt ist da kein Kribbeln oder Funkeln, das ein Verliebtsein langsam, aber gefühlsbetont einleiten würde.
Zudem strotzt die Geschichte nur so vor Klischees: das Auto, das am Straßenrand liegenbleibt; ein kleiner Ausrutscher, der dazu führt, dass sie aufeinander fallen; der trauernde Vater oder die verrückte, alte Lady, die das Herz aber am richtigen Fleck hat ... Klar, diese Art von Wohlfühlgeschichten sind schon oft erzählt worden und es geht vordergründig um die Emotionen, die man hin und wieder lesen möchte. Doch wenn diese eben nicht rüberkommen wollen, dann muss zumindest der Inhalt stimmen. Wenn beides nicht vorhanden ist, dann bleibt nur eine Geschichte, die nett erzählt wird, aber keine Begeisterung auslöst.
Fazit
Für gemütliche Stunden vor dem Kamin eignet sich das Buch leider nicht ganz so, wie erwartet. Aber vielleicht als kurzweilige und seichte Einstimmung für die kältere Jahreszeit.
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