Lügen über meine Mutter
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: August 2022
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Erschreckend und großartig zugleich
Ela wächst in den 80er Jahren in einem kleinen Dorf im Hunsrück auf. Was nach außen hin als eine erfolgreiche Familie erscheinen mag, wird im Inneren vom Körpergewicht der Mutter bestimmt. Die schöne Frau schafft es, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Doch ihr weniger erfolgreicher Mann reduziert sie vollkommen auf ihr Äußeres und macht es für alles verantwortlich, was geschieht.
Kalter Krieg im Hunsrück
Daniela Dröscher beschreibt das Familienleben aus der Sicht des Kindes Ela. Zwischen den Kapiteln streut sie allerdings immer wieder Reflexionen der erwachsenen Daniela ein, die, anders als die Position des Kindes, eine kritische Sicht auf die Vergangenheit zulassen. Doch schon Ela bemerkt den, in diesen Zeiten so oft erwähnten, kalten Krieg auch in der Familie. Die Mutter rackert sich mit Kindern und dementer Oma ab und ist dabei ständig den Anfeindungen der missgünstigen Schwiegermutter ausgesetzt. Der „Ostblock“, Elas Vater, steht ihr nicht zur Seite, sondern demütigt seine Frau mit ständiger Kritik an ihrem Aussehen und dem Befehl, endlich dauerhaft abzunehmen. Ela versucht das weitgehend neutral zu betrachten, doch als sie älter wird, meint auch sie manchmal die abschätzigen und starrenden Blicke der Anderen zu sehen. Ob das wirklich so ist oder nur die ständigen Anklagen des Vaters nachhallen, bleibt unklar.
Humor und Unterhaltung, trotz des schwierigen Themas
Dröscher schafft es, die Familiendynamik zu schildern, ohne anklagend zu werden. Sie beschreibt das Aussehen der Mutter nie explizit. Sie sieht in ihr die warmherzige, sich aufopfernde Frau, die allerdings auch ihre Fehler hat. Der Vater wird mit seinen Schwächen und Stärken geschildert, die nicht zuletzt durch seine eigene Geschichte entstanden sind. Obwohl es eigentlich ein Familiendrama ist, blitzt auch immer wieder Humorvolles auf, was der Tragik den Stachel nimmt. Doch im Vordergrund steht die unheilvolle Familiendynamik, die gleichzeitig einen Blick auf das Leben in den 80-er Jahren zulässt: Weight Watchers sind die ultimative Waffe gegen Übergewicht; die Auswirkungen des 2. Weltkrieges sind überall zu spüren (auch in den Köpfen der Menschen); Tennis wird zum deutschen Trendsport und die Rolle der Frau ist immer noch sehr tradiert.
Die Leserschaft dürfte manchmal fassungslos und vielleicht auch wütend werden, angesichts der Situation, die nicht nur vom Vater verursacht wird. Sie ist so geschildert auch eine Anklage an die Gesellschaft, die Äußerlichkeiten den Vorrang vor Inneren Werten gibt. Die Autorin hat neben der Aufarbeitung des unheilvollen Verhältnisses ihrer Eltern ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit geschaffen und das in einem Roman, der ebenso erschreckend, wie großartig geschrieben ist.
Fazit
Mit Humor und viel Feingefühl beschreibt Daniela Dröscher eine unheilvolle Dynamik, die sie erst jetzt zu hinterfragen weiß. Die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte ist aber auch Gesellschaftskritik und Anklage, die aufrüttelt und dennoch unterhaltsam sein kann.
Daniela Dröscher, Kiepenheuer & Witsch
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