Tomás Nevinson

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Carola Krauße-Reim
931001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2023

Ein sprachgewaltiger Schlusspunkt

Javier Marías war eine der mächtigsten Stimmen der zeitgenössischen spanischen Literatur. Seine zahlreichen Werke wurden in 40 Sprachen übersetzt, für vielzählige Preise vorgeschlagen und ausgezeichnet. Kurz bevor Spanien das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2022 war, verstummte diese mächtige Stimme für immer – Javier Marías verstarb am 22. September 2022 in Madrid. „Tomás Nevinson“ ist damit sein letzter Roman und ein fulminanter Schlusspunkt hinter das Leben des „großen Madritista“.

Tomás Nevinson wird reaktiviert

Bereits 2019 führte Javier Marías die Figur des Tomás Nevinson ein. In „Berta Isla“ lernten wir ihn als Spion für Großbritannien kennen. Doch der Agent mit spanisch-englischen Wurzeln war „verbrannt“, schloss mit dem britischen Geheimdienst ab und kehrte zu Berta und den Kindern nach Madrid zurück. Aber nun wird er reaktiviert: In einer spanischen Kleinstadt im Norden des Landes soll er unter drei Frauen die Terroristin ausfindig machen, die an Anschlägen der ETA und der IRA beteiligt war. Die Arbeit ist langwierig und bringt ihm neben einer Beziehung zu einer der Frauen eine Menge Probleme.

Eine Spionagegeschichte als Rahmenhandlung

Javier Marías Bücher sind eigentlich nie das, wofür man sie auf den ersten Blick halten könnte. So auch „Tomás Nevinson“: Was wie ein Spionageroman beginnt, ist in Wirklichkeit eine ausgedehnte Reflexion über zahlreiche Themen. Die Arbeit des Agenten Nevinson ist nur die Rahmenhandlung um über z.B. diverse Schriftsteller oder die Gewalt an Frauen zu philosophieren und vor allem über die Frage, ob Schuld und Unschuld immer nur eindimensional sind, nachzudenken. Marías nimmt wieder einmal kleinste Geschehnisse zum Anlass um sich tiefgreifende Gedanken zu machen und nimmt dabei die Leserschaft in seiner unvergleichlichen Art spielend mit. Dadurch bleibt es nicht nur bei der Lektüre des Romans, sondern mündet unweigerlich in der eigenen Reflexion der angeschnittenen Themen. Vor allem die Frage nach der Rechtfertigung für einen Mord, wenn man dadurch vielleicht ein anderes grausames Verbrechen verhindern kann, wird zum Ende des Buches für Autor und Leserschaft immer drängender.

Sprachgewaltig und äußerst spannend

Javier Marías ist ein Jongleur der Worte. Mit ungeheuerlicher Sprachgewalt und gleichzeitiger Sprachvielfalt verpackt er seine Geschichte und seine Gedanken in einem Kokon aus Worten, der einen unweigerlichen Sog ausübt. Damit ist nicht nur die Spionagehandlung spannend, sondern auch die in ihr eingebauten Gedankengänge. Auf immerhin mehr als 700 Seiten lassen Marías Sprachkompetenz und seine scharfkantigen Gedanken die Genres verschwimmen und den Roman zu einem packenden Rundumschlag durch das menschliche Sein werden. Das Vorgehen und die Probleme des alternden Agenten werden zudem aus seiner Sicht erzählt, was dem Ganzen einen zusätzlichen sehr persönlichen Charakter verleiht. Gleichzeitig rätselt man unweigerlich mit, welche der drei Frauen Magdalena Orúe O‘Dea ist und leidet mit Tomás Nevinson, wenn er sagt: „Es wiegt schwerer, wenn Geld oder Schwung oder die Fähigkeit, sich voranzuschleppen und weiterzumachen, dahin sind, die Lust aufzustehen, und die Geduld, zu warten, wenn die Totenglocken noch nicht an der Reihe sind und wir noch ein Stück des Weges zurücklegen müssen“.

Fazit

Ein sprachgewaltiges letztes Werk eines der größten zeitgenössischen Autoren Spaniens. „Tomás Nevinson“ vereint meisterhaft die spannende Handlung eines Spionageromans mit packenden alles durchdringenden und tiefschürfenden Gedanken.Ein wahrer Lesegenuss auf über 700 Seiten!

Tomás Nevinson

Javier Marías, S. Fischer

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