Wer Bücher liebt, wird diese Geschichte lieben
Kapitolo ist eine ganz besondere Stadt: Sie hat sich ganz der Literatur verschrieben. Doch Geschichten bergen in Kapitolo auch Gefahren, denn nicht selten wechseln hier Figuren aus ihrer Phantasiewelt in die Realität über – und nicht jede hat gutes im Sinn. Auch Kate Kowalski wird eines Tages mit dieser Tatsache konfrontiert, als eine ihrer Figuren in Kapitolo auftaucht und zum Mörder wird. Wer ist diese Figur und warum beging sie das Verbrechen? Von der Polizei ins Visier genommen, will Kate den Fall selbst aufklären – auch um ihre Zukunft als Autorin zu sichern.
Wer ist Kate Kowalski?
Schon die Vorstellung der Autorin im Umschlag führt uns in die Welt der Phantasie. Kate Kowalski wird als (vielleicht) reale Person mit Lebenslauf und einigen anderen Details präsentiert, wie man es als Leser gewohnt ist. Auch der Roman ist aus ihrer Sicht geschrieben und erzählt angeblich Vorkommnisse, welche die Autorin selbst erlebt hat. Hier wird die Leserschaft ganz schön auf das Glatteis geführt. Natürlich gibt es weder Kapitolo, noch Kate Kowalski, aber einer gewissen Verunsicherung kann man sich einfach nicht erwehren. Es werden sogar, wie üblich, angeblich schon erschienene Bücher der Autorin im Anhang genannt. Wenn man die Geschichte dann gelesen hat, fühlt man sich im Stil und auch im Plot sehr stark an eine deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin erinnert, deren Figuren auch schon aus ihren Büchern herausgelesen werden konnten. Ob sie Kate Kowalski ist – wer weiß?
Eine phantastische Fantasy-Welt
Das Worldbuilding ist der Autorin gelungen! Kapitolo ist eine Stadt, in der sich alles um Literatur dreht. Hier leben zahlreiche Autor*innen und Lektor*innen, es gibt Verlage, Buchhandlungen und selbst die Straßen- und Ortsnamen lehnen sich an die Literatur an. Im Zentrum Kapitolos dient der mysteriöse schwarze Tempel zur Rückführung der Figuren in die Phantasiewelt und ist gleichzeitig das Symbol der Stadt.
Die einzelnen Stadtviertel haben ihren ganz individuellen Charme, mit einer Architektur, die von verträumt-romantisch bis hin zu nüchtern-modern alles aufbietet. Es gibt sogar Häuser, die Tonkrügen ähneln oder solche, die sich teilweise unter Wasser befinden. Doch damit nicht genug, unter der Stadt existiert eine ausgedehnte Welt, die so manche Überraschung bereithält und manchmal an Tolkiens Mienen der Zwerge erinnert.
Auch den sozialen Bereich hat die Autorin in Gänze der fantastischen Welt angepasst. Kapitolos Problem sind die übergetretenen Figuren. Nicht immer ist es die harmlos-Verliebte aus einer Romantesy, der dümmliche Sexprotz aus einem Erotik-Roman oder das nette Rotkäppchen aus dem Märchen. Es können auch der entsprechende böse Wolf oder der, in aller Öffentlichkeit verendende und grauenhaft stinkende Wal aus Mobby Dick sein. Daher brauchen alle, die schreiben wollen, dafür eine Lizenz und eine Figurenhaftpflichtversicherung – man weiß ja nie, was die so alles treiben – und sämtliche Autor*innen müssen ihre Fingerabdrücke abgeben, zwecks Rückverfolgung übergetretener Figuren. Es gibt die Untersuchungsbehörden VdF (Verbrechen durch Figuren) und VaF (Verbrechen an Figuren), forensische Literaturwissenschaftler und über allem schwebt die „Kapitolische Literaturverordnung für Fiktionsschaffende“, deren Kern das Verantwortungsgesetz ist.
Eine Mischung aus Krimi und Fantasy-Roman
Die Welt von Kapitolo ist ebenso phantastisch, wie gefährlich. Mit der Suche nach der mordenden Figur verbindet Kowalski die Genre Krimi und Fantasy und macht daraus einen spannenden Roman, der fast durchgehend fesselt. Kleine Durchhänger auf den immerhin über 400 Seiten werden da gerne verziehen. Ausgeglichen werden diese zudem mit in die Geschichte eingebautem Wissen zum Literaturbetrieb. Die Probleme mit der Öffentlichkeit, das manchmal etwas gespannte Verhältnis von Autor zu Lektor oder auch der Druck durch die Verlage werden u.a. thematisiert und lassen manchmal tief blicken.
Mit einer Geschichte in der Geschichte sorgt Kowalski dann noch für einen ausgedehnten Blick in die Vergangenheit, die vielleicht der Ausgangspunkt für Kates aktuelles Problem sein könnte. Lediglich der Schluss ist etwas enttäuschend und macht ein wenig den Eindruck, als hätte die Autorin nicht gewusst, wie sie aus dem ganzen aufgebauten Schlamassel wieder herauskommen sollte.
Fazit
Ein Muss für alle, die Bücher lieben! Die gelungene Mischung aus Krimi und Fantasy-Roman fesselt und unterhält gleichermaßen. Man sollte allerdings bereit sein, sich auf eine wahrhaft phantasievolle Welt einzulassen, denn in Kapitolo kann man nicht nur Literaten begegnen, sondern auch ihren Figuren und die können schon einmal gewaltig stinken oder Übles im Sinn haben.
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