Die Geschwister

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Birgit von Domarus
901001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2023

Das geteilte Land

Nicht nur Christa Wolf mit ihrem herausragenden Roman“ Der geteilte Himmel“, sondern auch Brigitte Reimann hat 1963 eine Erzählung geschrieben, die genau die innerdeutsche Tragödie thematisiert, die mit der Bildung der zwei deutschen Staaten verbunden war. Bei Christa Wolf war es der Geliebte, in der vorliegenden Erzählung ist es der Bruder, der die DDR verlassen will und in Westdeutschland seine Zukunft sieht. Obwohl die Grenzen noch offen waren, konnte es existenzielle Konsequenzen haben, wenn nur ein Verdacht aufkam, in den Westen zu wollen.

Ganze Familien wurden in dieser Zeit auseinandergerissen und das, wie wir heute wissen, für Jahrzehnte.  In dieser autofiktionalen Darstellung (der Bruder von Brigitte Reimann ist 1960 in den Westen gegangen) war ich mit dem Wissen und der Erfahrung von heute versucht, die Protagonistin Elisabeth für naiv zu halten, weil sie so uneingeschränkt den Sozialismus und damit dieses Land verteidigt. Aber beim näheren Lesen ist dieser Eindruck nicht mehr so deutlich. Ja, Elisabeth versucht mit allen Mitteln ihren Bruder aufzuhalten, indem sie ihm immer wieder die Vorzüge der von ihr idealisierten Gesellschaft aufzeigt. Aber sie weiß auch um die Brüchigkeit ihrer Argumentation. Deshalb muss sie die Hilfe ihres Geliebten in Anspruch nehmen, der vielleicht die Ausreise zu verhindern weiß.  

In der vorliegenden Erzählung ist Elisabeth eine Künstlerin, die den sogenannten „Bitterfelder Weg“ praktiziert. Das staatliche Programm sah vor, Künstler und Intellektuelle zusammenzubringen, um sich gegenseitig zu akzeptieren, inspirieren und zu verstehen. Elisabeth malt ihre Bilder daher mitten unter den Arbeitern, die ein riesiges Werk aufbauen. Mit dem Parteiapparat als ein übermächtiges Organ, das in alle, selbst in die intimsten Lebensbereiche der Menschen vordringt, muss sich Elisabeth auseinandersetzen und schafft es durch ihre Kompromisslosigkeit zu bestehen. Das nicht konfliktlose Miteinander in diesem Arbeitermilieu, ihre Suche nach künstlerischer Ausdrucksweise und letztendlich die Kämpfe um den Bruder stehen mehrfach in kausalem Zusammenhang. Viele Geschehnisse bedingen einander und werden stilistisch in wunderbarer Weise miteinander verflochten.

Dieses Buch muss aus dem Kontext der Zeit des Aufbaus des Sozialismus verstanden werden. Das wird sicherlich einer ostdeutschen Leserschaft leichter fallen, zumal sie geübter sein sollte, zwischen den Zeilen zu lesen. Die systemkritischen Szenen sind erstaunlicherweise 1963 gedruckt worden, der Fund des Originalmanuskripts macht deutlich, es war noch sehr viel kritischer geplant.

Eine zufällige Entdeckung

Die Neuauflage der Erzählung ist einem Fund 2022 im ehemaligen Wohnhaus der Autorin in Hoyerswerda zu verdanken. Eine Sanierungsfirma entdeckte die Originalmanuskripte und konnte sie glücklicherweise zuordnen. Zensierte und damit gestrichene Passagen aus dem Originalmanuskript wurden zusammen mit Korrekturen, die die Autorin 1968 vornahm, in diese Neuauflage eingearbeitet. Leider nicht im Text, aber im Anhang werden die bearbeiteten Teile beschrieben und erläutert.  

Brigitte Reimann, 1933 in Burg bei Magdeburg geboren, hat als Kind bewusst das Kriegsende erlebt mit allen dazugehörendem Elend. Aus diesen Erfahrungen ist ihre prosozialistische Haltung zu verstehen, die lange ihr Leben und auch ihr Werk bestimmt hat, wobei sie zunehmend den Mut hatte, Widersprüche beim Namen zu nennen, bzw. eine differenziertere Sicht auf die DDR zu äußern. Sie war bekannt für ihre mutigen Denkanstöße, kritischen Fragestellungen und ganz nebenbei einer lebendigen unmittelbaren Sprache. Mit nicht einmal vierzig Jahren ist sie 1973 einem Krebsleiden erlegen, das sie auch daran gehindert hat, das Buch „Franziska Linkerhand“ zu vollenden.

Fazit

Die Geschichte handelt von einem Land, das es nicht mehr gibt. Sie handelt von einem Schmerz, von dem einmal dieses Land erfasst wurde, dem Schmerz der Teilung. Unbedingt lesen, wenn man Deutschland als Ganzes verstehen will!

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