Quo vadis, Mr. Conant?
Ende 2014 wird in einer brackigen Bucht in North Carolina ein rotes Kanu gefunden. Von der Ein-Mann-Besatzung fehlt jede Spur …
Nur wenige Wochen zuvor war Journalist Ben McGrath einem Mann im besten Alter namens Dick Conant begegnet, der in einem kleinen Kajak den Hudson River entlangpaddelte. Wie sich herausstellt, hatte sich Conant bereits 1999, einer fixen Idee folgend, diesen fahrbaren Untersatz besorgt, war damit ins Wasser gestiegen und einfach losgeschippert. Er hatte vor, bis an den Golf von Mexiko zu paddeln, vielleicht auch nach Kanada, oder Florida. Kreuz und quer trieb es ihn auf fließendem Gewässer quer durch die USA. Eine solche Story kann sich McGrath natürlich nicht entgehen lassen und verfasst berufsbedingt einen Artikel über den nicht unsympathischen, seltsam faszinierenden Herrn mit sonnengegerbtem Gesicht, Blaumann, Käppi und Weihnachtsmann-Bart. Dieser Artikel macht ihn nach Conants plötzlichem Verschwinden zur ersten Kontaktperson. So beginnt er, tiefer zu graben – und verfolgt die Fährte dieses ungewöhnlichen Aussteigers …
„Flüsse sind eine ständige Verlockung. Sie fließen an unserer Tür vorüber und rufen uns zu weit entfernten Unternehmungen und Abenteuern.“ – Henry David Thoreau
Der New Yorker Ben McGrath lebt mit seiner Familie in einer Kleinstadt nahe des Hudson und schreibt bereits langjährig für die New York Times. Es war jene schicksalhafte Begegnung am Fluss, welche die Ereignisse ins Rollen brachte, die ihn letztendlich zum Verfassen seines ersten Buches inspirierten. Mit Riverman wird er zum Chronisten des ungewöhnlichen Lebens eines Einsiedlers aus Überzeugung, der auch 10 Jahre nach seinem Verschwinden von ausnahmslos allen, denen er unterwegs begegnete, unvergessen bleibt.
„You’re in the hearts
And in the minds
Of the ones you left behind
May your journey be without worry
And your future be filled with happiness!
You are a hero in the upmost respect“
Die unglaublichsten Geschichten schreibt immer noch das Leben. McGrath hat Familienmitglieder von Conant interviewt, dessen Habseligkeiten in einem alten Lagerhaus ausfindig gemacht (darunter einige selbstgemalte Kunstwerke), seine auf Karten handschriftlich aufgezeichneten „Essays“ und Reiseberichte durchforstet und mit zahlreichen Menschen gesprochen, die ihn während seiner unendlichen Flussfahrt getroffen haben und fast ausschließlich Gutes berichten – oder sich zumindest ebenso fasziniert von ihm zeigen wie McGrath selbst. Dabei entsteht zum einen ein von Lokalkolorit geprägtes Mosaik der Vereinigten Staaten, von Träumen, Hoffnungen, Ängsten und den unterschiedlichsten Lebensentwürfen, voneinander getrennt durch auf den ersten Blick scheinbar unüberwindbare Gräben, über welche die Brücke zu schlagen letztendlich doch leichter ist, als gedacht. Zum anderen ist der Text aber auch der Versuch des Porträts eines belesenen, vielseitigen Mannes mit einer bewegten Vita, in welchem sich all diese Lebensentwürfe widerspiegeln und der fest entschlossen wirkt, nur sein eigenes Ding zu machen.
Zwischen den Zeilen schwingt die stetige Frage nach dem ‚Warum‘ mit. Was trieb Dick Conant an? Handelte es sich bei ihm um einen eigentlich zutiefst gestörten Mann mit psychischen Problemen? Wollte er seiner Familie den Rücken kehren? War er auf der Suche nach seiner großen Liebe „Tracy“? Ein Philosoph? Ein knallharter Gesellschaftskritiker? Ein „nicht gesellschaftsfähiger“ Individualist, der das Versprechen des Landes der „unbegrenzten Möglichkeiten“ wörtlich genommen hat? Fast hat man den Eindruck, dass sich McGrath mit zunehmendem Voranschreiten seiner Recherchen mehr und mehr verpflichtet fühlt, mit diesem Buch stellvertretend das Vermächtnis zu schaffen, dass der verschwundene Conant selbst nicht mehr hinterlassen konnte. Die Erzählungen aus seinem Leben springen wild durch Raum und Zeit, fließen (auch in der dankbarerweise mit vielen Anmerkungen versehenen Übersetzung von Felix Mayer) so elegant daher wie das reißende Flusswasser – doch auch wenn der enthaltene Bildteil einen kleinen Eindruck von der Wirkung vermitteln kann, die Dick Conant auf andere hatte, bleibt am Ende nur ein verschwommenes, vages Bild zurück.
Fazit
Mit Riverman ist Ben McGrath eine Genremischung aus Versatzstücken der zutiefst unglaublichen Geschichte eines zutiefst unfassbaren Mannes gelungen, welche diesem ein verdientes Denkmal setzt und sich dank der literarischen Versiertheit des Autors in die großen Werke des modernen amerikanischen Realismus einreihen möchte. Dennoch bleibt die Leserschaft (vor allem die mit der Topo-, Demo- und Geographie der USA unvertraute) mit einer gewissen Leere und einem Wunsch nach Mehr zurück.
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