Die Geschichte der Schwestern kommt zu kurz.
Miras geliebter Patenonkel Ocko ist verstorben und hat ihr sein Haus auf Amrum überlassen. Einst hatten sie gemeinsam so viele Pläne ausgeheckt: Ein Museum über das Treibgut, das sie am Strand fanden, das wollten sie gründen und gemeinsam Geschichten erzählen. Aber jetzt ist alles dahin. Schmerzhaft wird Mira in Ockos altem Häuschen, das sie nach seinem Tod geerbt hat, regelmäßig an ihren großen Verlust erinnert. Eines Tages stößt sie aber auf ein eigenartiges Fundstück und dazu kommt ihr eine besondere Geschichte, die ihr Ocko oft und mit einer eigenartigen Betonung erzählte, in den Sinn. Plötzlich erscheint diese Erzählung in einem ganz anderen Licht und Miras Leben scheint sich komplett auf den Kopf zu stellen. Wie kommt es, dass sie sich oft nicht auf sicherem Boden wähnt, warum lassen sich keine Nachweise über die besonderen Umstände ihrer Geburt finden und was wollte Ocko mit seinen besonderen Seemannssagen eigentlich wirklich erzählen?
Kind, junge Frau, alte Dame - aber nicht in einer Person
Thesche Wulff erzählt ihren Roman über die Schwestern, die den Gezeiten ähneln sollen, in verschiedenen Strängen. Da ist einerseits die Geschichte von Mira, die ihre auf Amrum lebende Schwester Anke anlässlich der Taufe ihres Patenkindes besucht. Mit ihr beginnt die Geschichte und sie ist die Hauptperson des Romans. Nach dem langen ersten Kapitel wird aber plötzlich und ohne Überleitung von der 81jährigen Friede aus Hamburg berichtet, die in keiner erkennbaren Beziehung zu Mira oder ihrer Familie steht. Nach einer kurzen Rückkehr zur Heldin Mira richtet sich der Fokus wieder auf eine andere Person. In der Retrospektive wird von einem kleinen Mädchen erzählt, das mit seiner Mutter im Bayern der Nachkriegszeit lebt. Auch hier ergibt sich auf Anhieb kein Zusammenhang, dennoch lässt sich hier aufgrund der zeitlichen Anordnung zumindest schon einmal vermuten, dass sich hier möglicherweise wichtige Wege kreuzen werden.
So richtig gelungen ist keiner dieser drei Stränge. Die Heldin Mira sollte dem Leser eigentlich am nächsten stehen, aber sie bleibt spröde und unnahbar. Nicht richtig nachvollziehbar bleibt auch die Beziehung zu ihrer Schwester. Sie sollte laut Buchtitel ja eigentlich das Hauptthema des Romans ausmachen, spielt dafür aber viel zu selten eine Rolle. Mit einem fast harten Bruch wird dann die zweite Heldin Friede eingeführt, die auch ein eigenartiges, verstecktes Leben zu führen scheint. Sie wird als die gute Seele der Nachbarschaft und ihrer Arbeitsstelle geschildert, aber eine richtige Sympathie vermag diese verschlossene Person beim Leser auch nicht aufzubauen. Die dritte im Bunde ist dann ein kleines Mädchen, das nach dem zweiten Weltkrieg von seiner Mutter aufgezogen wird. Auch dieser Handlungsstrang kann nicht so recht überzeugen, scheint das Kind, über das in kindlicher Sprache berichtet wird, überhaupt nicht zu reifen. In nerviger Beständigkeit wird es in erster Linie als "die Kleine" bezeichnet und selbst als Heranwachsende spricht sie noch naiv davon, dass der "Vati ein Unterseeboot-Kapitän" sei.
Zusammentreffen, die nicht überzeugen
Bei dieser Konstellation dreier Heldinnen und der eher sporadisch auftretenden Schwester fragt sich der Leser lange, in welche Richtung der Roman eigentlich will. Richtig verständlich ist die Handlung zudem nicht aufgebaut, beruhen die wichtigsten Wendungen doch auf zufälligen Fundstücken und so beispielsweise sogar auf einer Zeitung, in die gerade das Gemüse eingeschlagen werden soll. Auch die Handlungen und Emotionen der Heldinnen, bleiben unklar. Ein Teenager mag sich - nach seiner Meinung - unsterblich verlieben, aber ob dann tatsächlich das Leben so lange überschattet bleiben mag, wenn sich der Begehrte einer anderen zuwendet, das dürfte doch eine andere Frage sein. Auch fiel mir das geheimnisvoll vor sich hinmurmelnde Klärchen immer wieder störend auf, das mit seinem ständigen "Jeija" und den dunklen Weissagungen über die Nordsee irgendwann doch nervte.
Nicht nachvollziehbar bleibt jedoch der Dreh- und Angelpunkt, der auf dem das Schicksal aller Beteiligten beruht. Hier könnte allenfalls ein medizinischer Notfall als Erklärung dienen, alles weitere wäre nicht verständlich. Dennoch ist die Erzählung über die "Ebbe-Flut-Schwestern" im Großen und Ganzen gelungen, vieles ist sehr gut erzählt und auch die Insel Amrum bildet einen schönen Rahmen.
Fazit
Die "Schwestern wie Ebbe und Flut" erzählen weniger von Schwestern als vielmehr von Frauen mit einem besonderen Schicksal. Was hier stürmisch und mitreißend sein soll, dümpelt auf verschiedenen Strecken bei Niedrigwasser vor sich hin. Eine kräftige Brise kommt immerhin zum Ende auf, aber dann fragt man sich auch schon "Warum erst jetzt?"
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