Mein Herz ist eine Krähe

1897: Unni, ihr kleiner Sohn Roar und ihr Geliebter Armod müssen aus Norwegen fliehen. In der schwedischen Provinz Hälsingland endet ihr Weg. Mitten im Wald steht abgeschieden eine winzige Kate, die sie „Frieden“ nennen und die nun das Zuhause der kleinen Familie wird. Doch Frieden finden sie dort nicht.

1973: Kåra muss die Beerdigung ihres Schwiegervaters Roar planen. Zusammen sitzt sie mit ihrer Schwiegermutter Bricken am alten Küchentisch in „Frieden“, zwischen ihnen unaufgearbeitete Tragödien und unausgesprochene Geheimnisse.

Lina Nordquist

Lina Nordquist ist Professorin für Physiologie, eine angesehene Diabetesforscherin und außerdem Mutter. Seit 2018 ist sie zudem Abgeordnete im schwedischen Parlament. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie in einem Interview mit dem Diogenes Verlag sagt: „Normalerweise schreibe ich nicht, weil ich Zeit habe, sondern weil ich zu Atem kommen muss“. Die Geburten ihrer Kinder veränderten ihre Weltsicht, machten ihr die Schönheit und gleichzeitig die Vergänglichkeit allen Lebens klar. Eher durch Zufall wurde aus den daraus entstandenen dahingekritzelten Gedanken ihr Roman-Debüt, wobei “die treibende Kraft dahinter meine größten Ängste waren“. Was nicht vielen in ihren Debüts glückt, hat Lina Nordquist geschafft – einen Roman zu schreiben, der professionell und gleichzeitig sehr emotional eine Geschichte erzählt, die auch nach dem Lesen noch lange nachhallt.

Der etwas andere Liebesroman

Im Mittelpunkt des Romans stehen Unni und Kåra. Die beiden Protagonistinnen erzählen abwechselnd ihre Geschichte selbst. Ihre Schicksale sind aus der Not entstanden und auch darin stecken geblieben. Beide sind in „Frieden“ gelandet, weil sie fliehen mussten, die eine vor dem Gesetz, die andere vor der Verurteilung durch die Gesellschaft. Mit erzählerischer Wucht katapultiert uns Nordquist in zwei Leben, die archaischer nicht sein könnten. Unni erlebt erbarmungslosen Hunger und tragische Verluste, muss äußerste Brutalität aushalten und hält dennoch durch. Kåra findet nur in einer verbotenen Beziehung Liebe und begeht Schlimmes, nur um frei zu sein vom eingezwängten Leben mitten im Wald, immer im Blick der Schwiegermutter. „Wohin du gehst, ich folge dir“ ist die wörtliche Übersetzung des schwedischen Originaltitels. Das passt in mehrfacher Hinsicht auf die etwas andere Liebesgeschichte, in der die Frauen die familiäre Last tragen und nur durch die Liebe genügend Kraft finden durchzuhalten. Doch auch der deutsche Titel passt, denn die beiden Leben sind düster und voller Geheimnisse, die erst spät ans Licht kommen. 

Spannend wie ein Krimi

Lina Nordquist beschreibt das schwere Leben der beiden Frauen mit einer tiefen Intensität und gleichzeitig überaus klar. Nicht immer ist die Geschichte einfach auszuhalten und dennoch fesselt sie von Beginn an. Überraschende Wendungen entfachen immer wieder Spannung und präzise Beschreibungen gepaart mit erzählerischer Perfektion reißen einfach mit. Der Schluss hält dann noch einmal eine Überraschung parat, die vieles erklärt und gleichzeitig die ganze Tragödie dieser Familie offenlegt.

Doch er macht auch Hoffnung und führt aus dem düsteren Wald hinaus in eine hoffnungsvollere Zukunft. Die greifbare Atmosphäre der Enge und der Düsternis verbunden mit dem Tiefgang der exzellent erzählten Geschichte lassen den Roman nicht zu einer leichten Liebesgeschichte verkommen, sondern machen ihn zu einem fordernden Werk, das zwar auch viel mit Liebe zu tun hat, aber vordergründig zwei Frauenschicksale erzählt, die tragischer nicht sein könnten.

Fazit

Ein Debüt, das durch erzählerische Wucht und tiefes Einfühlungsvermögen überzeugt. Lina Nordquist erzählt zwei Frauenschicksale, die viel gemeinsam haben und die tragischer nicht sein könnten. „Mein Herz ist eine Krähe“ ist ein Frauen- und Liebesroman der anderen Art und sollte unbedingt gelesen werden!