Wie man als Fünfzehnjährige in sechs Wochen erwachsen werden kann
Kim ist fünfzehn und auf der Suche nach ihrer Identität. Sie lebt mir ihrer Mutter, ihrem reichen Stiefvater und dem verwöhnten Halbbruder zusammen. Dieses Leben gefällt ihr nicht, sie provoziert, klaut, schreibt schlechte Noten und benimmt sich daneben. Dann wird es ihrer Mutter und dem Stiefvater zu viel, sie verbieten ihr, dem Störenfried, mit in den Urlaub zu reisen. Doch wo soll sie hin? Ruckzuck hat ihre Mutter sie zu ihrem leiblichen Vater ins Ruhrgebiet gefahren, wo sie sechs Wochen verbringen soll. Die Sache hat nur einen Haken: Ihren Vater hat sie nämlich noch nie gesehen. Ronald Papen, mit dem sie wenigstens den Nachnahmen teilt, wohnt in einer Halle in einem Gewerbepark. Irgendwie findet Kim ihn seltsam, auch seine Art zu Wohnen, in einer Industriehalle mit viertausend Markisen, die alle fürchterlich hässlich sind. Doch hinter dieser Art zu leben steckt mehr, als Kim sich vorstellen kann. Ihr Vater sieht es als Lebensaufgabe an, diese unmodernen Markisen zu verkaufen und dies seit vielen, vielen Jahren. Erst wenn er damit fertig ist, kann er zur Ruhe kommen. Doch ihm fehlt definitiv das Talent eines Verkäufers. Seine Lebensweise schränkt sein soziales Leben, seine Kommunikation und vor allem seine Gedankengänge sehr ein, auch wenn er immer sehr besorgt, freundlich und zuvorkommend ist. Kim wird es mit der Zeit ziemlich langweilig, den Tag allein in dieser Gegend zu verbringen und beginnt, mit ihm von Haus zu Haus zu fahren, um seine Markisen anzubieten. Dabei bemerkt sie, dass er damit so keinerlei Erfolg hat und eher als gescheiterte Existenz wahrgenommen wird. Doch gerade das bringt sie ihrem leiblichen Vater näher, als sie gedacht hätte.
Die Sicht einer Fünfzehnjährigen auf eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung
Die Geschichte rund um Vater und Tochter wird aus der Sicht Kims erzählt. Dabei bleibt Autor Jan Weiler seinem eigenen Sprachduktus treu und lässt sie von prägenden Sommerferien erzählen. Der Autor schafft es, dass sich in der kurzen Zeitspanne das Leben einer Fünfzehnjährigen komplett umkrempelt. Nach der Begegnung und der intensiven Zeit mit ihrem Vater scheint sie reifer geworden zu sein und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Auch das Erfahren seiner Vergangenheit und den daraus resultierenden Konsequenzen, die viel weiter greifen, als man anfänglich erahnen mag, machen aus Kim einen anderen Menschen. Das Talent Weilers ist es, eine Geschichte, die tragisch und berührend ist, nie ins Kitschige, Unrealistische abschweifen zu lassen. Das lässt auch die Erzählung rund um Kim und Roland authentisch wirken. Es kommt nie zu explosionsartigen Gefühlsausbrüchen, vor Spannung kaum aushaltbaren Situationen oder voyeuristischen Schilderungen – genau deswegen fühlt man sich der normal-unnormalen Familie von Kim irgendwie verbunden.
Fazit
Ein Roman rund um das erste unfreiwillige Treffen zwischen Kim und ihrem leiblichen Vater in dessen Zuhause, der Halle im Gewerbepark. Was zunächst sehr schräg anmutet und auch eigentlich ist, beginnt die fünfzehnjährige Kim irgendwann zu hinterfragen und genau das macht den Charme des Plots aus. Wer Tiefgang und eine gediegene Schreibweise mag, der ist hier richtig!
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