Internatsgeschichten mit historischem Hintergrund
Daniel ist Sohn eines Pfarrers. Aus diesem Grund wird ihm in der DDR das Abitur verwehrt. Wie schon sein älterer Bruder geht er nach West-Berlin, wo er in einem Internat unterkommt und in einem Gymnasium, das eine Klasse nur aus DDR-Schülern hat zur Schule geht. Er lebt sich schnell in seiner neuen Umgebung ein. Als Zeitungsverkäufer verdient er Geld, das er dann für Kneipenbesuche und einen Tanzkurs ausgibt. Er erlebt Billy Graham, das „Maschinengewehr Gottes“, und Billy Haley, der den Sportpalast an den Rand des Wahnsinns treibt. Dann kommt der Mauerbau und Daniel und sein Bruder stehen vor einem Problem.
Christoph Hein
Christoph Hein, Jahrgang 1944, ist in der DDR aufgewachsen. Als Sohn eines evangelischen Pfarrers wird ihm nicht erlaubt das Abitur zu machen. Daher besucht er bis zum Mauerbau ein Gymnasium in West-Berlin. Nach diversen Tätigkeiten studiert er, wird Dramaturg und ab 1979 freiberuflicher Schriftsteller. Seine Werke drehen sich oft um das Leben in der DDR, zuerst als Möglichkeit der Aufklärung und nach der Wende als Aufarbeitung der Geschichte. „Er gilt als der Chronist der DDR“, was er allerdings im vorliegenden Roman nur bedingt beweist.
Autobiographische Aufarbeitung der Schulzeit
Schon die Biografie Heins zeigt, dass hier eindeutig eine autobiografische Aufarbeitung stattfindet. Jedes Detail aus dem Roman ist aus dem Leben des Autors übernommen – von dem Dorf in Sachsen bis hin zur Bewältigung der Herausforderungen nach dem Bau der Mauer. Das ist natürlich legitim, wäre aber als Biografie wesentlich interessanter und authentischer gewesen. So aber hat man das Gefühl, Hein vermarktet sich selbst für einen weiteres Prosawerk. Im Roman behält die Leserschaft zudem eine Distanz, die das Eintauchen in das Leben des Schülers Daniel verhindert, auch wenn Hein ihn alles aus seiner Perspektive erzählen lässt. Nur selten erhält man Einblick in die Gefühlswelt des jungen Daniel, die auch dann nur sehr rudimentär vermittelt wird. Dafür hetzt man von einem Internatserlebnis zum nächsten, was zwar das Leben in der noch nicht komplett geteilten Stadt vermittelt, aber dennoch an bekannte Lausbubengeschichten erinnert. Bis auf den historischen Hintergrund ist das Geschehen fast belanglos und nur wenig interessant, auch wenn die Situation der DDR-Schüler immer wieder einmal anklingt.
Wer soll die Zielgruppe des Romans sein?
Während der Lektüre hat es manchmal den Anschein, als schreibe Hein nur für sich seine Erlebnisse von der Seele. In der Darstellung der politischen Situation setzt er einfach zu viel Wissen bei der Leserschaft voraus. Die Gegebenheiten in Berlin vor dem Mauerbau werden nur für Kenner der Szene oder der Geschichte ausreichend erklärt. Wer ohne Vorkenntnisse in die Lektüre einsteigt, dürfte manche Verständnisschwierigkeit haben. Selbst in der Schilderung der Probleme, die Menschen aus der DDR beim Verlassen der Republik hatten, bleibt Hein nebulös. Zwar lässt er Konsequenzen anklingen, doch erklärt er nur wenig und zum Schluss könnte man sich fragen, warum die Bedrohung durch den Staatsapparat auf einmal für Daniel und seinen Bruder keine Rolle mehr spielt. Damit reduziert Hein die Zielgruppe, die seinen Roman wirklich nachvollziehen kann, enorm. Aber vielleicht ist ihm das nicht so wichtig und er sieht sich auch in diesem Fall als Chronist, dem es wichtiger ist, zu schildern als zu unterhalten.
Fazit
Pedantische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Hein wird seinem Ruf als Chronist der DDR wieder einmal gerecht, schafft es aber nur einen mäßig interessanten Roman vorzulegen. Der ist mehr Anekdotensammlung und Lausbubenstück als kritische Betrachtung. Damit dürfte „Unterm Staub der Zeit“ nur interessant sein, wenn man vielleicht in der gleichen Situation, wie Daniel war oder Internatsgeschichten mag.
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