Straffers Nacht

Straffers Nacht
Straffers Nacht
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Carola Krauße-Reim
901001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2023

Die Täter in unserer Mitte

Erich Straffer war mal wer. Im zweiten Weltkrieg war er als SS-General für das Töten und Abschlachten in Russland zuständig - „Der Befehl lautete schlicht: Rücksichtsloser Massenmord. Je mehr, desto besser. Massaker an jedem Arbeitstag“. Doch jetzt, nach dem Krieg, in den 60er Jahren, den Zeiten des Wirtschaftswunders ist Straffer abgehängt. Er arbeitet als Nachtwächter, geht jedem unnötigen Kontakt aus dem Weg, selbst seine beiden Söhne sehen ihn kaum. Und dann bekommt ausgerechnet er einen Arbeitskollegen. Reuben Horovitz ist Jude und aus Israel nach Deutschland gekommen, um den Mörder seines Onkels zu finden. Für Straffer scheint „die Zeit der Abrechnung“ gekommen, denn mit Horovitz verbindet ihn mehr als dieser ahnt.

Täter in der Mitte der Gesellschaft

Politikredakteur und Autor Wolfgang Wissler macht ein dunkles Nachkriegskapitel zum Mittelpunkt seines Romans. Nicht wenige Kriegsverbrecher schafften es, ihre Identität zu verbergen und lebten unbehelligt im neuen Deutschland. Sie waren beliebte Hausärzte, rechtsprechende Juristen oder auch in der Politik tätig; sie konnten der nette Nachbar von nebenan sein, der Arbeitskollege oder sogar ein Familienmitglied. Ein Zitat von Bundeskanzler Konrad Adenauer aus dem Jahr 1952, das Wissler in seinen Anmerkungen zum Roman erwähnt, verdeutlicht die Einstellung vieler in den Nachkriegsjahren: „Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat“. „Aus diesem Entsetzen heraus wurde „Straffers Nacht“ geschrieben“. Und, um es vorweg zu nehmen, dieses Entsetzen bleibt während der ganzen Lektüre und auch noch lange danach. Denn was Wissler sehr eindrücklich schildert, ist die Frage nach eigener Schuld und der Bereitschaft diese auch anzuerkennen. Und es bleibt auch das mulmige Gefühl als jemand, der, wie Wissler, in den 1960er Jahren geboren ist, vielleicht einen dieser anonymen Täter im eigenen Umfeld gehabt zu haben. 

Kann man Schuld relativieren?

Wissler erzählt als auktorialer Erzähler, aber immer an der Seite Straffers, die Geschichte. Seine Schilderungen kommen über lange Strecken ohne wörtliche Rede aus, was die Isolation Straffers noch einmal verdeutlicht, die Lektüre jedoch anfangs auch gewöhnungsbedürftig macht. Wie viele, erkennt Straffer die persönliche Schuld durchaus, versteckt sich aber hinter dem gerne benutztem Argument, nur Befehle ausgeführt zu haben. Die dennoch immer wieder punktuell aufblitzende Brutalität in seinen Äußerungen, erschreckt in ihrer Plötzlichkeit und macht erst einmal sprachlos. Sie zeigt aber auch, dass sie ein Persönlichkeitsmerkmal zu sein scheint und keineswegs nur blindem Gehorsam geschuldet ist. Die Kaltblütigkeit in Straffers eigenem Vorgehen, der nahezu bedingungslose und manchmal auch erzwungene Zusammenhalt der alten Seilschaften macht betroffen und zeigt, dass Straffer seine Schuld relativiert und fast schon zwanghaft vor sich rechtfertigt. Doch wie es um sein Gewissen wirklich bestellt ist, bekommt die Leserschaft zu spüren, als Reuben Horovitz auftaucht und Straffer Probleme wittert. 

Ein Roman, der mitnimmt

Die Geschichte von Straffer ist wirklich nachtschwarz. Man muss sich auf die Konfrontation mit kaltblütiger Brutalität und eiskalter Gleichgültigkeit einstellen. Das, gepaart mit der Annahme eines Massenmörders, ungerechtfertigt auf dem Abstellgleis gelandet zu sein, ohne die gewohnte Machtfülle leben zu dürfen, muss man erst einmal verdauen. „Straffers Nacht“ ist keine Unterhaltungsliteratur, sondern schwer verdauliche Kost, die aber dennoch packend ist. Wissler war es wichtig zu zeigen, dass „wir Deutschen sehr wohl weiterhin eine besondere Verantwortung tragen“ und stellt „Straffers Nacht“ damit zu Recht in eine Reihe mit zahlreichen anderen Romanen und Biografien, die gegen das Vergessen gerichtet sind.

Fazit

Ein besonderer Roman gegen das Vergessen! Wolfgang Wissler spricht ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte an, das noch immer einer umfangreichen Aufarbeitung entbehrt. Straffers Schuld und seine eigene Wahrnehmung dieser machen sprachlos, wütend und auch nachdenklich. „Straffers Nacht“ ist beileibe kein Unterhaltungsroman, aber ein Roman, der dringend gelesen werden sollte.

Straffers Nacht

Wolfgang Wissler, Pendragon

Straffers Nacht

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