Im Schatten der blauen Pferde

Im Schatten der blauen Pferde
Im Schatten der blauen Pferde
Wertung wird geladen
Carola Krauße-Reim
751001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2024

Spannende Aufarbeitung eines kunsthistorischen Rätsels.

Der 1880 in München geborene und 1916 bei Verdun gefallene Franz Marc war einer der bedeutendsten Maler des Expressionismus in Deutschland. In seinen Gemälden sind immer wieder Tiere als Motiv zu finden. Vor allem Pferde und ihre Schicksale haben ihn fasziniert. Ihre Stärke und Kraft drückte er durch blaue Farbe aus, die für ihn „das männliche Prinzip, herb und geistig“ war. 1913 entstand das großformatige Werk „Der Turm der blauen Pferde“, das ab 1919 in der Nationalgalerie in Berlin hing. Doch auch Marc und seine Werke wurden von den Nazis als entartet angesehen und „Der Turm der blauen Pferde“ landete 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Nach Protesten des deutschen Offiziersbundes wurden jedoch alle Gemälde des gefallenen Frontsoldaten Franz Marc wieder aus der Ausstellung entfernt. Dass „Der Turm der blauen Pferde“ für Nazis als entartet galt, hinderte Hermann Göring nicht daran, ihn für seine private Kunstsammlung zu kaufen. Hier verliert sich die Spur des Bildes. Angeblich wurde es 1945 noch einmal gesehen, aber gesichert ist das ebenso wenig, wie die Annahme, es könnte sich im Tresor einer Schweizer Bank befinden.

Verbleib und Restitution

Uwe Fleckner ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Sein Fachgebiet ist die „entartete Kunst“ und ihre Restitution. Diesen Themen hat er zahlreiche Aufsätze gewidmet und eine Forschungsstelle für „entartete Kunst“ gegründet. Da ist es nicht verwunderlich, dass es in seinem Debütroman genau um diese Themen geht. Der Verbleib des „Turm der blauen Pferde“ beschäftigt hauptsächlich die Fachwelt immer wieder. Gerüchte um ihn gibt es genug, doch fehlen Beweise für seinen Verbleib. Die Restitution geraubter Kunst hingegen ist ein sehr aktuelles Thema, das auch die breite Öffentlichkeit immer mehr wahrnimmt. Diese beiden Aspekte hat Fleckner als Grundlage genommen und daraus einen spannenden Roman gebastelt, den man beinahe schon als Kunstgeschichte-Krimi bezeichnen kann, wäre da nicht die übergroße Faszination des Autors für seine Arbeit und das Bild von Franz Marc im Besonderen.

Details bremsen das Geschehen teilweise aus

Leidenschaftlich lässt Uwe Fleckner seinen Protagonisten Maximilian Kisch detektivisch nach dem „Turm der blauen Pferde“ suchen. Immer wieder kehrt dieser an das Getty Research Institute in Los Angeles zurück, um in alten und vielleicht neuen Unterlagen Hinweise auf das Bild zu finden. Seine Leidenschaft hat ihm zu beachteten Artikeln und viel Anerkennung in der Fachwelt verholfen; ihm aber auch die Habilitation und die Beziehung zu seiner Freundin gekostet. Fleckner kennt die Fachkreise und weiß diese gekonnt in Szene zu setzten. Die Gespräche unter Kollegen am Getti-Institute sind sehr interessant, gehen aber teilweise zu sehr ins Detail. Hier dürften nur wirklich interessierte Laien am Ball bleiben können. Wer sich hier nicht auskennt, wird mit den vielen genannten Namen und Werken überfordert sein und die Spannung etwas vermissen. Die versucht der Autor allerdings durch verschiedene Zeitebenen aufrecht zu erhalten, die gleichzeitig auch die Historie des Bildes und den Umgang der Nazis mit angeblich entarteter Kunst schildern. Uwe Fleckner beschreibt Möglichkeiten des Verbleibs des Bildes, indem er Max Kisch tatsächlich immer wieder Hinweise auf den „Turm der blauen Pferde“ finden lässt. Doch Enttäuschungen sind nicht weit und so gibt es die ein oder andere Wendung, wobei die finale eine mögliche Lösung des Problems darstellt. Was allerdings wirklich nicht hätte sein müssen, ist die etwas konstruierte Liebesgeschichte, obwohl auch diese mehr ist als sie scheint.

Für Kenner und Interessierte

Die Detailversessenheit und Intensität mit der Fleckner seine Geschichte erzählt, macht sie zu einem Hochgenuss für alle, die sich mit den Themen auskennen oder überhaupt an Kunst interessiert sind. Wer damit aber wenig anzufangen weiß, findet den Roman daher allerdings entweder weniger gut oder ist durch ihn animiert, in die Materie einzusteigen – was auf jeden Fall äußerst lohnend ist. Der Umgang der Nazis mit diffamierter Kunst, die auf der einen Seite als „entartet“ galt, aber auf der anderen in ihren Privatsammlungen landete oder als Mittel zur Geldbeschaffung genutzt wurde, ist sehr spannend. Genauso die aktuellen und sehr rechercheintensiven Versuche, die unrechtmäßig erworbenen Werke an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.

Fazit

Die schwierige Suche nach dem Werk von Franz Marc ist für Kunstinteressierte ein Highlight! Wer die dargestellten Themen allerdings weniger spannend findet, dürfte an der detailreichen Geschichte, die einiges an Vorkenntnissen erfordert, weniger Gefallen finden. Aber vielleicht animiert der wendungsreiche Roman auch, sich doch einmal mit der Kunstpolitik im Dritten Reich und den aktuellen Bemühungen um Restitution zu beschäftigen.

Im Schatten der blauen Pferde

Uwe Fleckner, C. Bertelsmann

Im Schatten der blauen Pferde

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Im Schatten der blauen Pferde«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Film & Kino:
The Crown - Staffel 3

Die Queen in ihrer vordergründig repräsentativen Rolle ist eine zeitgeschichtliche Ikone, sodass der Erfolg der seit 2016 bei Netflix laufenden Serie „The Crown“ nicht verwundert. Die dritte Staffel markiert allerdings einen Umbruch: Die Royal Family ist in den 60er-Jahren angekommen und viele Rollen werden neu besetzt, da auch die Blaublüter nicht vor dem Altern gefeit sind. Titel-Motiv: © Des Willie / Netflix

zur Film-Kritik