Jeder Stein erzählt von einem Leben

Während einer Internetrecherche entdeckt die Autorin Jackie Kohnstamm die Namen ihrer Grosseltern in einem Beitrag über die Einweihung von sogenannten Stolpersteinen in Berlin. Spontan beschliesst sie, an der Einweihungsfeier teilzunehmen. Das ist der Beginn einer höchst emotionalen Spurensuche, die die Geschichte der Familie Rychwalski aus der Vergessenheit holt.

Stolpersteine und der Beginn einer familiären Aufarbeitung

Zunächst denkt Jackie Kohnstamm nur an die Einweihung der Stolpersteine. “ "Stolpersteine" ist ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, mit dem an Menschen erinnert wird, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Stolpersteine sind Betonquader mit einer Kantenlänge von 10 cm, die in den Gehweg vor dem letzten frei gewählten Wohnort von Verfolgten des Nationalsozialismus eingelassen werden. Auf einer Messingplatte an der Oberseite sind der Name und das Schicksal des Menschen, an den erinnert wird, zu lesen. Stolpersteine in Berlin gibt es seit 1996.“ (Quelle:stolpersteine-berlin.de)

Nachdem ihr Entschluss nach Berlin zu reisen feststeht, erinnert sie sich an den im Schrank „vergessenen“ Schuhkarton. Dieser beinhaltet diverse Familiendokumente. Doch der Karton ist vergleichbar mit der Büchse der Pandora. Ihn zu öffnen, ist eine emotionale Herausforderung. Jackie Kohnstamm beschliesst, erst die Einweihung der Stolpersteine für ihre Grosseltern hinter sich zu bringen. Alles weitere würde sich ergeben.

Im Verlaufe ihres Berlin-Besuchs lernt Jackie Leute kennen, die sich gegen das Vergessen derjenigen einsetzen, die auf so schreckliche Weise umgekommen sind. Der Verein wünscht sich für jede der verfolgten Personen einen Stein. Für Jackie Kohnstamm ist es der Anstoß zu einer aufregenden Spurensuche, welche Aufschluss über das Leben ihrer Grosseltern geben wird. „Als wären auch diese Menschen mit dem Hunger nach Informationen aufgewachsen. Nach Informationen, die zurückgehalten, unterdrückt und versteckt wurden. Informationen, die erst jetzt – vor allem seit dem Fall der Mauer – nach und nach an die Oberfläche kommen“

In der Familie wurde nicht über Mally & Max Rychwalski gesprochen. Die Schrecken der Vergangenheit belasten noch immer die Gegenwart und machen sprachlos. Doch jetzt scheint der Zeitpunkt gekommen. Dank ihrer Recherchefähigkeiten und mit Hilfe der neu gewonnen Freunde ist die Enkelin von Mally & Max endlich in der Lage, sich ein Bild vom Leben ihrer Grosseltern zu machen und abzuschließen.

Briefe und Archivbesuche

Jackie Kohnstamm verbindet in ihrem Buch Gegenwart und Vergangenheit auf eine sehr lebendige Art und Weise. Sie beginnt mit ihrer Sicht der Dinge, ihren Erinnerungen an die Eltern und die Verwandten. So erfährt man ihre Beweggründe für ihr äusserst mutiges Unterfangen. Schliesslich weiss sie nicht, was genau sie herausfinden wird.

Die einzelnen Sequenzen ihrer Suche ergänzt die Autorin mit Briefen ihrer Geschwister und zu einem späteren Zeitpunkt auch mit solchen von Mally & Max, ihren Grosseltern. Dies ermöglicht einen interessanten und anschaulichen Einblick in ein Leben vor Beginn der Naziherrschaft. Und diese Briefwechsel innerhalb der Familie zeigen eindrücklich das herannahende Unheil. Mit den jeweiligen Perspektivenwechseln bewirkt die Autorin ein Gleichgewicht zwischen ihrer Familiengeschichte und den schrecklichen Folgen der Naziherrschaft.

Fazit

Es ist eine lebendige und ergreifende Erzählung über den Holocaust. Jackie Kohnstamms Roman ist gleichzeitig eine Führung durch Berlin wie auch eine Aufforderung, sie auf ihrer Spurensuche zu begleiten. Sie tut dies mit einer gewissen unterkühlten Eleganz, die aber keineswegs die Darstellung der schmerzvollen Reise in die Vergangenheit untergräbt.