Der Schreibstil bremst die Geschichte aus.
Inger-Maria Mahlke wurde 1977 in Hamburg geboren, wuchs aber in Lübeck auf. Sie studierte Rechtswissenschaften an der FU Berlin und arbeitete am dortigen Lehrstuhl für Kriminologie, bevor sie mit dem Schreiben begann. Bereits ihr Debüt „Silberfischchen“ wurde ein Erfolg. Seitdem zählt sie zu den wichtigsten Stimmen zeitgenössischer deutscher Literatur.
Die Lübecker Gesellschaft
In „Unsereins“ entführt uns Mahlke nach Lübeck während der Zeit des Kaiserreichs. Sie erzählt von den einfachen Leuten - den Dienerinnen, den Lohndienern und Pensionswirten mit ihren Schülern. Und natürlich von der feinen Gesellschaft - den Kaufleuten und den Senatoren des „kleinsten Staates“ im Reich. Probleme haben sie alle und die sind sich gar nicht so unähnlich, egal ob man in der Beletage bedient oder dort bedient wird.
Die Buddenbrooks lassen grüßen
„Unsereins“ wirkt wie ein Spiegelbild des wohl berühmtesten Lübeck-Romans überhaupt. „Buddenbrooks – Verfall einer Familie“ erschien 1901 und dürfte eines der bekanntesten Werke von Thomas Mann sein. Mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, erzählt der Gesellschaftsroman vom Zerfall einer angesehenen Kaufmannsfamilie. In „Unsereins“ ist es die Familie des Rechtsanwalts Lindhorst, die im Mittelpunkt steht. Dessen Ehefrau ist die „Tochter des berühmtesten Dichters aller Zeiten“ und seine Brüder sind Senator und Konsul. Die Erwartungen an die sechs Söhne der Familie sind genauso klar, wie die an die zwei Töchter. Doch es kommt anders als geplant. Die Peripherie zu dieser Familie wird von Bediensteten, Bekannten, Mitschülern und der feinen Gesellschaft geformt, die alle nur einen Gedanken haben – das Gesicht zu wahren. Ausgerechnet das Werk von Tomy, dem Pfau, reißt die Masken ab und Familie Lindhorst vermeint sich plötzlich bloßgestellt und geächtet. Um diesen komplexen Plot in seiner ganzen Bandbreite und Subtilität zu verstehen, sollte man unbedingt ein wenig Hintergrundwissen mitbringen, wenn nicht sogar „Buddenbrooks – Verfall einer Familie““ gelesen haben. Und selbst dann muss man sich mit Inger-Maria Mahlkes Schreibstil anfreunden, um den Roman mit fast 500 Seiten durchzuhalten.
Lesefluss ist kaum möglich
Mahlke erzählt die Geschichte in ihrem ganz eigenen Stil. Die meisten Sätze sind sehr kurz oder gleichen Aufzählungen, selbst die Gespräche laufen fast im Stenogrammstil ab.
„Weißt du noch, unser Haus?“
„Hab es oft genug geputzt.“
„Fünf Zimmer ...“
„Genau.“
Ein Lesefluss ist hier nur schwerlich zu erreichen, selbst der immer wieder aufblitzende Humor hilft da nicht weiter. Doch nicht nur der Stil könnte eine Bindung der Leserschaft an die Erzählung verhindern. Gleich zu Beginn lernen wir Georg kennen, einen unglücklichen Schüler, der es, weit weg von Zuhause, in Lübeck aushalten muss. Gespannt, wie es mit ihm weitergeht, wird man jedoch recht schnell an die nächste Figur weitergereicht und erfährt erst ganz zum Schluss mehr von Georg. So geht es, dem Schreibstil gleichend, weiter. Kaum ist man mit dem einen Charakter warm geworden, muss man sich auch schon von ihm verabschieden. „Die handelnden Personen“ sind zum Glück zu Beginn des Buches aufgelistet, denn es sind viele und manchmal könnte man wegen des schnellen Perspektivwechsels den Überblick verlieren. Wirklich packend wird die Geschichte so auch erst zum Ende hin, wenn sich die einzelnen Stränge verbinden und das sich ganze Drama um gesellschaftliche Normen, Ansprüche und der Suche nach Identität offenbart.
Fazit
Ein Roman, der subtil und mit dezentem Humor ein Gegenstück zu dem berühmten Roman von Thomas Mann bildet. Doch Schreibstil und komplexer Plot machen die Lektüre nicht einfach – Hintergrundwissen wird fast schon vorausgesetzt. Bei diesem Upstairs – Downstairs ist Durchhaltevermögen gefragt!
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